Konzert vom 12. Dezember 2012 in der schwäbischen Hauptstadt
Wie es der Zufall manchmal so veranstaltet, hatte ich im letzten Augenblick Wind davon bekommen, dass nach gefühlten Jahrhunderten herzloser Ignoranz gegenüber dem Südwesten der Republik, endlich wieder mal eine Band den Weg nach Baden-Württemberg fand. So machte ich mich also auch auf den Weg, eine mir bis dato wenig bekannte Band für saftige 25 Euro Abendkasse anzuschauen. Ich hatte die vorherige Gruppe des Sängers und des Schlagzeugers, Dio, einstmals in Köln gesehen, wusste also grob was mich erwartet, was letztendlich auch die Zahlungsbereitschaft erklärt.
An der Halle angekommen stellte ich erst einmal fest, dass es nicht wirklich eine Halle war, sondern eine Art Klub, der unterhalb einer Hauptstrasse angelegt war - im Innern konnte man aus einem Fenster auch noch einen Tunnel für die Autos begutachten. Also genau die richtige Location für ein derartiges Konzert. Vor dem Einlass tummelte sich eine heterogene Menge aus verschiedensten Metallern... Ne klar... Es war die typische Masse aus 95 Prozent jüngeren Frauen mit eindeutigem VK Hintergrund. Ein paar vereinzelte Elemente der männlichen Spezies hatten sich auch hierher verirrt, wirkten aber angesichts der femininen Großmacht irgendwie deplaziert. Ungeachtet der doch recht eisigen Temperaturen die am Abend herrschten, war es umso mehr verwunderlich, dass einzelne Damen es immer noch für angebracht hielten Mini-Röcke zu tragen. Die Vernunft hatte jedoch bei dem überwiegenden Teil der Anwesenden über den modischen Aspekt gesiegt.
Im Innenbereich angekommen, stellte man fest, dass die erschienene Menge - etwa 50-70 Leute - im krassen Gegensatz zu dem theoretischen Fassungsvermögen des Saals standen, weshalb für den Rest des Abends irgendwie das Gefühl im Raum stehen bleiben würde, dass die gesamte Aktion kaum kostendeckend sein würde, und dies dementsprechend der letzte Auftritt einer Indie-VK Band im Südwesten für die nächsten 200 Jahre sein wird. Die Fans machten sich gleich auf den Merchandise Stand abzuschreiten und sich teilweise schon einzudecken. Ich hing mich daran auf, dass das Wort Moskau in der Landessprache einen Tippfehler hatte, wodurch die Tourshirts bei dem damals noch ausstehenden Konzert entweder für Gelächter oder für viel Diskussionsstoff sorgen würden.
Um 19:44 Uhr startete die französische Vorband KLINK CLOCK mit ihrem Auftritt. Die ersten Töne und Strophen ließen schlimmes erahnen. Wer von Bands wie The Ting Tings nichts bis noch weniger hält, der würde mit 40 Prozent der Musik der Vorband große Probleme haben. Immer dann, wenn die Band versuchte möglichst originell zu sein und das eigene Indie Dasein fett zu unterstreichen, konnte man auf Durchzug schalten. Doch glücklicherweise steckte in dem Duo deutlich mehr musikalisches Potenzial, als es die ersten paar Songs vermuten ließen. Die Sängerin, die zugleich für die Percussions zuständig war, schaffte es immer wieder ein paar sehr tolle Passagen zusammen zu bekommen. Der Gitarrist konnte seinerseits als Sänger eher überzeugen. Der große Pluspunkt des Duos war aber das Schlagzeug. Die recht schmächtige Dame holte scheinbar mühelos einen derart treibenden Beat aus den Trommeln, dass die ganze Bude mitmachte. Außerdem bemühte sich die Gruppe mit dem Publikum in der Landessprache zu kommunizieren, wodurch ein paar nette Momente zu Stande kamen.
Nach einer halben Stunde war die Show vorbei und der Umbau auf der halb erhöhten Bühne begann. Nach weiteren fünfzehn Minuten war auch dies vollbracht und der Hauptact kündigte sich mit seinem Intro an. Voreingenommen wie ich gelegentlich bin, kritisierte ich innerlich den ein wenig laschen und fast schon Standard mäßigen Opener, der die typischen Klischees düsterer und unheimlicher Musik ausschöpfte. Die Mitglieder kamen einer nach dem anderen unter Beifall auf die Bühne und das Konzert begann.
Die ersten drei Songs, deren Titel mir leider nicht bekannt sind, waren sogleich nette, wenn auch nicht überragende Nackenbrecher. Deftiger Metal mit gutem Tempo und überzeugender Instrumentenarbeit. Am Gesang gab es nichts zu meckern, da hier offensichtlich ein Profi auf dem Mini-Podest stand. Nachdem ich die ersten beiden Songs noch halbwegs verhalten aufgenommen hatte, eroberte mich die Stimmung der Band zu Beginn des dritten Songs an dessen Ende der erste MC anstand. Die Band stellte sich als BLACK LINE aus Japan vor und wurde hierfür von den Fans bejubelt.
Danach nahm die Band die Brechstange aus ihren Instrumenten und überzeugte mit lockerem Party-Rock, der auf der CD wohl nicht annähernd so überzeugend klingen dürfte wie live. Nach dem deftigen Auftakt war das die willkommene Abwechslung, die die Fans auf Betriebstemperatur brachte. Der sechste Song des Abends nahm noch einmal Tempo raus und erfreute mit gewissen balladesken Tendenzen, um wieder Kraft zu schöpfen, für das was noch kommen sollte. Der zweite MC wurde dazu genutzt die Fans darüber zu informieren, dass die Band erstmalig in Stuttgart war, dies aber nicht zwingend so bleiben müsste in der Zukunft. Alles in allem wurde die Menge von dem nicht perfekten aber doch sichtlich bemühtem Englisch sehr gut unterhalten.
Im Anschluss daran folgten richtige Balladen, oder das was man in Anbetracht der eigentlichen musikalischen Ausrichtung BLACK LINEs, am ehesten als Ballade bezeichnen könnte. Den Anfang macht "Star Road" bei dem die Menge, sofern mit dem Song vertraut, ordentlich mitmachte. Danach kam der Song, in dessen Text sich die Zeile "One day - I will say goodbye" wiederfindet. Man muss kein Hardcorefan der Gruppe sein, damit man nach der verabreichten Aktivierungsenergie seitens der Band, den relativ eingängigen Refrain mitsingen konnte. Den Abschluss dieses Blocks bildete "Twilight", dass im Gegensatz zu den beiden Vorgängern wieder etwas Tempo aufnahm und die Fans auf das dritte MC vorbereitete.
Bei diesem gab sich der Sänger sichtlich Mühe und unterhielt in zu 75 Prozent verständlichen Englisch das Publikum. Einen nach dem anderen stellte er die Musiker Yudai, Jun und Syu vor. Hierzu bediente er sich der Ankündigungsmethode aus dem Boxsport. So wurden schnell die Gitarren-Ecke, die Bass-Ecke und die Schlagzeug-Ecke erfunden und die dort jeweils befindlichen Personen mit absurden Gewichten bedacht. Zu jedem Mitglied wurde außerdem ein mit Humor gewürzter Steckbrief erstellt, der unter anderem den Vergleich mit einem Pokémon beinhaltete (Anm.: Sofern mich das Gehirn nicht trügt, betraf dieser Vergleich den Schlagzeuger). Zuletzt wurde Sänger mikaru durch den Drummer vorgestellt, wobei das Kampfgewicht des maximal 60 kg Frontmanns irgendwo über 5000 Pfund angesetzt wurde, was natürlich zu großem Gelächter im Saal führte.
Dann folgte "Black Rainbow" was wieder die härtere Gangart bediente und über Norm die Nackenmuskulatur anstrengte. Die wieder namenlosen Songs elf und der als "letzter Song" angekündigte zwölfte Titel des Abends gingen in die gleiche Richtung. Fetzige Unterhaltung zum Mitmachen. Als der letzte Ton verklungen war - was nicht passierte weil eine Saite noch paar Minuten nachhallte - ging die Band von der Bühne nur um nach nicht einmal fünf Minuten wieder vor den Fans zu stehen. Aber nicht komplett, sondern sukzessive.
Erst tauchte Schlagzeuger Syu auf und begann ein Schlagzeugsolo, dass er immer wieder unterbrach um das Publikum das gerade gespielte mit einem "Hey" oder "Yeah" quittieren zu lassen. So ging das gefühlte fünf Minuten, bis Bassist Jun auftauchte und den Klanghorizont erweiterte. Wenig später gesellte sich auch noch Gitarrist Yudai hinzu und so spielte das Trio eine Jamsession für die Menge. Zuletzt tauchte noch Sänger mikaru auf, um dem "wilden" Treiben ein Ende zu setzen und wieder zum Eigentlichen zurückzukehren. Ein kurzer MC über Dio leitete zum Eigencover "yuki hana" (Anm.: Es könnte auch Song zwölf gewesen sein, falls sich jemand unbedingt an einem chronologischen Fehler aufhängen möchte). Dieses wurde unter tosendem Beifall gefeiert und auch fast unisono mitgesungen, wenn es die Textkenntnisse erlaubten. Der wirklich letzte Song des Abends hatte genau an diesem Punkt seine absolute Daseinsberechtigung. Ein derartiger Nackenbrecher der über Minuten ein Dauergeprügel von der Bühne in die Menge schleudert, verzeiht keine Passivität. Wer da nicht mitgemacht hatte, hat sein Geld in den Wind geschmissen. Sichtlich fertig beendeten die Musiker ihr Set kurz nach 22 Uhr und warfen die üblichen Utensilien und Trinkflaschen in die Meute. Die ersten Leute gingen praktisch direkt nachdem das Licht wieder angegangen war oder bedienten sich noch schnell am Merchandise Stand.
Fazit: Ein sehr interessantes Konzert, dass wegen seines auf Melodie bedachten Metals und gewisser ruhigerer Momente ein klassischer VK Wolpertinger ist. Für ausschließliche Metaller nicht gnadenlos genug, für sanfttemperierte Popliebhaber zu laut und für die Szenefans genau das richtige. Schön, dass sich kleine Bands auch in die Tiefen der Provinz verirren und so die Fans bedienen, die es zeitlich nicht einrichten können während der Woche spontan mal nach Berlin zu fahren. Sollten sich weitere derartige Gelegenheiten ergeben, sollte man - sofern man ansatzweise weiß, was auf einen zukommt - keine Minute zögern und sich ein Ticket holen, damit auch weiterhin die kleinen Bands zu humanen Preisen längere Touren spielen können.
Ein Kritikpunkt muss aber noch angesprochen werden. Die Fans benehmen sich in den vorderen Reihen manchmal echt katastrophal. Eine Sache ist es wenn der Sänger in die Menge reingreift, seine Hand hoch zu heben in der Hoffnung, dass der Frontmann oder die anderen Musiker die Berührung suchen. Eine ganz andere ist es einem auf dem Podest hockenden Musiker von der Seite zu betatschen, während er seiner Arbeit nachgeht. Ich denke die betreffende Dame hätte sich mehr als unwohl gefühlt, säße sie auf der Bühne und irgendein Kerl würde ihr im mittleren Körperbereich seine Hand an den Körper legen. Sex, Drugs and Rock'n Roll gibt's hinterher, aber nicht während des Konzerts. Daher, meine Damen - denn die Herren standen alle im Hintergrund und headbangten oder grölten mit - überlegt euch, was ihr macht, bevor ihr es macht. Das sind Musiker und keine Stripper...