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Shades of Wonderland - Die fabelhafte Welt japanischer Street Fashion

28/08/2014 2014-08-28 04:00:00 JaME Autor: Geisha

Shades of Wonderland - Die fabelhafte Welt japanischer Street Fashion

Lolita & Co in Wort und Bild


© werkbank030
Dokumentation Buch

Shades of Wonderland - Die fabelhafte Welt japanischer Street Fashion

Unterschiedliche Künstler

Seit die Medien vor etwa zehn Jahren auf japanische Street Fashion aufmerksam wurden, haben so einige Bücher den Weg auf den westlichen Markt gefunden: angefangen von den "FRUITS" Photobänden, die als erste die schillernde Alternativmode des Inselreichs dokumentierten, über Handbücher, die Mode und Geschichte diverser Subkulturen erklärten, bis hin zu wissenschaftlichen Studien, die aus den Japanologiefachbereichen von Universitäten stammten. Das jüngste Werk zum Thema, "Shades of Wonderland - Die fabelhafte Welt japanischer Street Fashion", ist eine Kombination aus Fotoband und Szenehandbuch. Seine Autorinnen möchten ihre Leser informieren und dabei sowohl deren ästhetische, als auch intellektuelle Erwartungen erfüllen. Gelingt ihnen das?

Das erste, was auffällt, ist das Format: das Buch misst stolze dreissig mal dreissig Zentimeter, ist etwas über vier Zentimeter dick und bringt satte drei einhalb Kilo auf die Waage. Damit weckt es unwillkürlich eine gewisse Erwartungshaltung. Das zweite sind die Zitate aus Lewis Carrolls Roman "Alice im Wunderland", einem der grossen Leitmotive der Lolitaszene, die sich wie ein roter Faden durch das Buch ziehen und den einzelnen Kapiteln zusätzlich Farbe verleihen. Und zum dritten ist es auf Deutsch geschrieben, während die meisten anderen Handbücher auf Englisch sind. So weit, so gut.

Im Vorwort erklären die beiden Autorinnen, Redakteurin Miriam Loetz und Sandra Grimme, Autorin von "Die Szenekultur der Lolitas im Spiegel der Gothic & Lolita Bible" und Chefin der deutschen Lolita Community Dunkelsüss, wie ihre Zusammenarbeit zustande kam. Dunkelsüss bemüht sich seit Jahren mit selbst produzierten Broschüren, Infoständen und Modenschauen darum, der Öffentlichkeit ein wahrheitsgetreues Bild von Lolitamode zu vermitteln und von den Medien geschürte Klischees wie Realitätsflucht, Pädophilie und andere Vorurteile aus der Welt zu schaffen. "Shades of Wonderland" ist in dieser Tradition zu sehen.

Das Buch beginnt mit einer kurzen Geschichte des japanische Street Style seit den 1970er Jahren. Dabei wird eine klare Trennlinie gezogen zwischen Subkulturen wie Lolita, bei denen die Mode im Mittelpunkt steht, und solchen wie Visual Kei, bei denen es in erster Linie um Musik geht. Als nächstes werden mit Hilfe von Text, Photos und Zeichnungen von Anne-Constanze Bastian Sweet, Classic, Gothic und Punk Lolita sowie verschiedene "Harajuku Styles" wie Gyaru, Dolly Kei und Decora bis ins Detail erklärt. Danach taucht der Leser ein in beinahe 500 Seiten reine Mode, welche in zwei Kategorien aufgeteilt sind.

Auf den ersten rund 200 Seiten stellen verschiedene Designer sowohl sich selbst, als auch ihre Modelabels vor. Darunter sind viele grosse Namen, wie Baby, the Stars Shine Bright, Innocent World, h.NAOTO und Alice Auaa, aber auch viele Indielabels aus Japan und aller Welt, wie Vierge Vampur, Atelier P-I-N-K-Y, Gloomth und ERGI. Letzteres kann darauf Anspruch erheben, mit Viking Lolita einen völlig neuen Sub-Stil aus der Taufe gehoben zu haben. Im Gegensatz zum textlastigen ersten Teil des Buches, in dem Bilder lediglich dazu dienen, die verschiedenen Modestile zu illustrieren, sind die Photos hier fast alle ganzseitig und jeder Marke stehen mindestens zwei Doppelseiten zur Verfügung. Meistens handelt es sich dabei um offizielle PR-Photos der Labels, doch sind auch Portraits der Designer und als besonderes Schmankerl die eine oder andere Designskizze darunter.

Auf den verbleibenden 250 Seiten werden prominente TrägerInnen von japanischem Street Style interviewt. Man erfährt, wie sie zu ihrem jeweiligen Stil gefunden haben, wie sie ihn verstehen, wie ihr Umfeld darauf reagiert und welches ihre Lieblingsmarken sind. Die Interviews werden von erstaunlich professionell in Szene gesetzten Farbphotos begleitet, die beweisen, dass Stilgefühl und Kreativität keineswegs ein japanisches Privileg sind, sondern durchaus auch im Westen gedeihen. Den Abschluss bildet ein 2-seitiges Glossar mit Fachwörtern und einem Überblick über einschlägige Szenepublikationen.

Wenn man pingelig sein will, könnte man beanstanden, dass einige sehr bekannte Marken, wie Angelic Pretty, Moi-meme-Moitie und Victorian Maiden, in der Parade der vorgestellten Designer fehlen. Waren diese vielleicht einfach weniger kooperativ als ihre Kollegen? Schwerer zu erklären sind ein paar fragwürdige Statements in den Portraits der Designer, beispielsweise wird Visual Kei als Modestil beschrieben und "Neo-Romantik" (New Romantic?) mit Punk gleichgesetzt.

Ausserdem kommen in den Interviews fast ausschliesslich Lolitas zu Wort; lediglich mit DJ SiSeN gesellt sich ein einsamer Exponent der Gothic und Cyber Szene dazu. Andere Stile, beispielsweise Gyaru, der sich auch im Westen seit Jahren wachsender Beliebtheit erfreut, sind nicht vertreten. Nachdem am Anfang des Buchs viel Aufwand darauf verwendet wurde, die unterschiedlichen Subkulturen zu erklären und zu betonen, dass Street Fashion keine Verkleidung ist, sondern Mode, fragt man sich ausserdem, warum auf einigen Photos Cosplay und Lolita miteinander vermischt zu sehen sind. Natürlich kommt es bisweilen zu Überschneidungen, da manche Lolitas auch Cosplayer sind und Visual Kei Musiker für Lolitamarken modeln, aber in einem Aufklärungswerk wie diesem würde sich eine klare Trennung anbieten, zumal gerade dieses Thema in der Lolitaszene heiss umstritten ist.

Das Glossar ist ebenfalls stark Lolita-lastig, weshalb es überrascht, dass sich gerade bei der Definition der ikonischen Gothic & Lolita Bible ein Fehler eingeschlichen hat. Diese erscheint nämlich nicht alle zwei Wochen, sondern alle drei Monate, aber ansonsten ist die Liste ziemlich komplett und dürfte vor allem Neueinsteigern eine grosse Hilfe dabei sein, sich in der oft verwirrenden Welt des japanischen Street Style zurechtzufinden.

Alles in allem ist "Shades of Wonderland - Die fabelhafte Welt japanischer Street Fashion" ein Buch, auf das seine Autorinnen stolz sein können. Die Photos sind stimmungsvoll und professionell, der Text informativ, aber nicht trocken, und Druck und Gestaltung sind hochwertig. Beim Durchblättern spürt man deutlich, dass viel Liebe und Sorgfalt in das Projekt geflossen sind und für Lolitas und alle, die mehr über diese kreative Subkultur herausfinden möchten, ist es ein absoluter Pflichtkauf.
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