Im Gespräch mit Matthias Müssig von Gan-Shin und Okami Records
Matthias Müssig, Geschäftsführer von Neo Tokyo sowie Gründer von Gan-Shin Records und Okami Records, beantwortete uns ein paar Fragen zu seinen Ursprüngen, dem Digital-Download-Markt und zur Akzeptanz japanischer Musik in Europa generell.
Matthias Müssig ist einer der Geschäftsführer von Neo Tokyo, gleichzeitig ist er einer der Gründerväter von Okami Records und Gan-Shin Records, dem ersten und größten Label für japanische Rockmusik in Deutschland und Europa. Zeit, ihn in diesem Interview um einen Einblick in seine Arbeit und die japanische Musikszene in Europa zu bitten.
Die Idee zur Gründung eines Labels war nicht von heute auf morgen geboren. Genau genommen müssen wir mehr als zehn Jahre in der Zeit zurückgehen. Die beiden Geschäftsführer des Neo Tokyo-Ladens in München, welches sich anfangs auf den Verkauf von Manga und Anime spezialisiert hatte und von einigen als Eintagsfliege verschrien wurde, reisten unzählige Male geschäftlich nach Japan und knüpften dort Kontakte aus denen später auch Freundschaften entstanden. Dabei erweiterte sich ihr Sortiment im Laden immer mehr und irgendwann bekamen die Kunden auch die Möglichkeit, gezielt über Neo Tokyo Musik-CDs aus Japan zu importieren. Es ist demnach nicht vermessen zu sagen, dass die gestiegene Nachfrage der Kunden im Geschäft einen ganz großen Stellenwert für die Entscheidung zu einer Gründung eines eigenen Labels einnahm. Da jedoch alle Beteiligten nicht aus der Musikbranche kamen, sondern einfach den Sprung ins kalte Wasser wagten, gab und gibt es auch heute immer wieder Schwierigkeiten, die es aufs Neue zu bewältigen gilt – wobei auch politische Aspekte eine Rolle spielen.
Das neu gegründete Label Gan-Shin Records wurde schnell zu einer preiswerten Alternative zu Rockmusik made in Japan für hiesige Fans. Auf der anderen Seite war es für japanische Künstler wie DIR EN GREY und D'espairsRay eine Möglichkeit, den Sprung über den großen Teich zu wagen und Fuß auf europäischen Boden zu setzen. In den ersten Jahren erschienen somit etliche Visual Kei-CDs innerhalb Europas. Doch schnell musste man feststellen, dass dies allein nicht ausreichte. Aus diesem Grund entstand 2006 Okami Records, wo man Metal- und J-Rock Bands wie beispielsweise DIR EN GREY eine eigene und neue Plattform zur Verfügung stellte.
Auf die Frage hin, ob man sich auch vorstellen könnte, auch ein Sub-Label für die zunehmenden Künstler aus dem Pop-Bereich ins Leben zu rufen, verriet uns Matthias Müssig: "Wenn die Rahmenbedingungen stimmen, können wir dies nicht unbedingt ausschließen." Es bleibt also spannend, ob künftige Releases von Horie Yui oder Hayashibara Megumi über ein neu gegründetes Label den Weg nach Europa finden werden. Bislang wurden deren Singles und Alben als Digital-Download über Gan-Shin Records in Europa veröffentlicht.
Während des Interviews interessierte uns die Frage nach der größten Herausforderung bei der Veröffentlichung von japanischer Musik innerhalb Europas ganz besonders. Daraufhin erhielten wir von Matthias Müssig sehr interessante Einschätzungen. Nicht nur dass es keine große, sondern vielmehr viele kleine Herausforderungen sind, die nicht nur von Künstler zu Künstler unterschiedlich sind, sondern auch organisatorische Aspekte sowie die Politik und die auch in Japan rückläufigen Absatzzahlen in der Musikbranche mit einschließen. Trotz aller Widrigkeiten lassen sich Gan-Shin bzw. Okami Records bislang nicht unterkriegen und schreiten mutig voran.
Da das Label schon seit gut zehn Jahren mit dabei ist, bewegte uns auch die Frage, welche Veränderungen in der japanischen Musik den Personen hinter dem Label aufgefallen sind und wie sich die Musik generell verändert hat. Die Einschätzungen auf diese Fragen fielen ebenfalls recht unterhaltsam aus. So konnten ganz besonders bei Künstlern, die einmal im Ausland getourt haben, Veränderungen festgestellt werden. Eigentlich auch ganz logisch, denn je mehr Eindrücke und Kontakte man sammelt, umso mehr kann man diese auch in Musik und Texten verarbeiten, was unweigerlich über kurz oder lang zu Veränderungen führt. Zudem erwähnte Matthias Müssig, dass es für Gan-Shin durch die sich veränderten Gegebenheiten in der japanischen Musikindustrie einfacher geworden sei, außergewöhnliche Künstler nach Europa zu holen.
Schaut man sich die Künstlerriege von Gan-Shin Records an und bedenkt auch die Anfänge, so hat das Label doch relativ viele Bands aus dem Visual Kei-Genre unter Vertrag. Wir wollten daher wissen, wie das Label selbst – bzw. die Personen dahinter – das Genre beschreiben würden. "Die Optik ist natürlich wichtig und steckt auch schon im Namen. Aber für mich persönlich steht Visual Kei für bunte, japanische Rock- und Metalmusik! Zudem denke ich, dass die japanische Sprache ein wichtiges Element in dieser Stilrichtung ist.", verriet uns Matthias Müssig im Interview. Trotz allen Auf und Abs, wenn es um das Interesse am Visual Kei innerhalb Europas geht, so glaubt der Label-Chef ebenso fest, dass das Genre nach wie vor für die Europäer attraktiv ist. Etwas anders sieht die Sache in Ost-Europa aus, dort verzeichnet man sogar ein wachsendes Interesse.
Etwas ins Grübeln brachten wir den gestandenen Geschäftsmann jedoch mit unserer Frage "Welche eurer Bands verdienen, eurer Meinung nach, eine noch bessere Anerkennung innerhalb Europas?" So nannte uns Matthias Müssig den Namen der Metalband Onmyo-za. Zudem wünschen sich die Personen hinter den Labels, dass auch die jungen Bands wie DIV, Kameleo oder UNiTE hierzulande einen Durchbruch schaffen.
Neben den Anfängen des Labels und dem allgemeinen Interesse an japanischer Musik innerhalb Europas wollten wir noch etwas zum Thema Download erfahren. Im Gespräch mit Matthias Müssig zeigte sich, dass der digitale Vertriebsweg für das Label zwar sehr wichtig geworden sei, aber die dortigen Zahlen leider noch nicht in der Lage sind, die weggebrochenen Einnahmen bei den CD-Verkäufen abzufangen. Das liegt keinesfalls an mangelndem Interesse, sondern vielmehr an den geringen Beiträgen, die das Label generell für einen Stream erhält. Pro Anbieter sind dies derzeit gerade einmal unglaublich niedrige 0,03 Cent pro Stream!
Trotz allem hält man an beiden Wegen fest. Wir ließen es uns auch nicht nehmen, einmal nach Vor- und Nachteilen der beiden Formate zu fragen. So erhielten wir folgende Antworten: Für die CD spricht selbstverständlich, dass diese für Musiksammler, die gerne etwas in der Hand halten, nach wie vor interessant ist. Zudem lassen sich dort ohne Probleme weitere externe Boni beilegen. Dem gegenüber hat der Download natürlich den großen Vorteil, dass dieser direkter, schneller und wesentlich einfacher umzusetzen ist. Auch die Arbeit am Design fällt zu großen Teilen weg und ebenfalls ein wesentlicher Punkt ist dessen geringe Umweltbelastung.
In unserem Interview gingen wir auch auf die Booking-Firma Twisted Talent und die langjährige Zusammenarbeit ein. Matthias Müssig erzählte uns in diesem Zusammenhang folgendes: "Wir sind nicht nur auf Twisted Talent beschränkt. In der Vergangenheit haben wir nicht nur selbst die Tourneen durchgeführt – bis wir dies alleine nicht mehr stemmen konnten – sondern haben mit vielen Partnern gearbeitet." Gan-Shin Records suchten lange nach einer Booking-Firma, die Erfahrung im Umgang mit den Wünschen, Problemen und Ängsten der japanischen Künstler hatte. Zudem suchte man nach jemandem, der mit Feuereifer dabei war und wurde schließlich bei Twisted Talent fündig. Wie uns der Geschäftsführer schmunzelnd verriet, sind die Menschen hinter Twisted Talent alles ehemalige Rockmusiker, die schon selbst zum Teil in Japan aufgetreten sind und daher die Kultur verstehen.
Etwas schwerer fiel es Matthias Müssig, unsere Frage nach einem bestimmten im Gedächtnis gebliebenen Ereignis zu beantworten. Nicht weil es da keines gegeben hätte, sondern weil täglich einfach zu viele passieren. Ganz im Dunkeln ließ er uns dann aber doch nicht und verriet uns, dass er vor Kurzem einem Konzert von DIR EN GREY in Japan beiwohnte. "Die Konzerte von DIR EN GREY in Japan sind immer ein freudiges Ereignis", sagte er am Telefon. Doch auch ein anderes Erlebnis soll nicht ganz unerwähnt bleiben: "Ein witziges Erlebnis, dass wir gerne mit den JaME-Lesern teilen würden, hatten wir 2006, als wir mit Geschäftspartnern nach Japan reisten. Hier waren wir unter anderem bei MUCC im Studio zu Gast und konnten feststellen, dass auch in talentierten Musikern ein Geek- und Sammlerherz schlägt. Yukke hatte nahezu das gesamte Studio liebevoll mit Plüschtieren und Sammelfiguren dekoriert. Von Nightmare Before Christmas über die M&M’s war hier alles dabei (siehe Foto). Und wie es scheint, hat die Begeisterung bei ihm nicht nachgelassen, denn im Behind-the-scenes-Video, das MUCC uns geschickt haben, haben wir entdeckt, dass kein geringerer als Penguin von Sumikko-gurashi mit MUCC auf Tour durch Japan ist. Vielleicht entdeckt ihr ihn ja im Video (dieses findet ihr am Ende des Interviews)."
Doch schauen wir ein wenig in die Zukunft. Im Mai kommen mit den oben erwähnten DIR EN GREY (dieses Mal jedoch nicht in Zusammenarbeit mit Twisted Talent) auch die vier Musiker von MUCC nach längerer Abstinenz wieder zu uns nach Europa. Aber auch der Release-Sektor wird weiterhin fleißig bedient. Aktuell in Vorbereitung sind Veröffentlichungen von Matenrou Opera, angela und T.M.Revolution. Das neue Werk von T.M.Revolution namens "TEN" wird ab dem 13. Mai gleichzeitig mit dem japanischen Release als Download und am 22. Mai im deutschsprachigen Raum als CD veröffentlicht. Desweiteren ging das Label vor kurzem eine ungewöhnliche Kooperation mit MAVERICK DC und Sony Music Japan ein, die auf den spannenden Titel J-ROCK EXPLOSION 2014 "BATTLE OF THE BRAVE" hört. Daher können Gan-Shin in ihrer Künstlerriege seit neuestem ebenso das Lyrical-Quartet "Kanon" und die Band umbrella begrüßen. Es bleibt also weiterhin interessant und spannend, was und wen uns Gan-Shin und Okami Records in Zukunft noch so alles nach Europa bringen werden.
Zum Abschluss hat Matthias Müssig noch ein paar Worte an euch direkt, die wir selbstverständlich nicht vorenthalten möchten. "Liebe JaME-Leser, wir können seit 2003 unsere Begeisterung für J-Rock und Visual Kei leben, indem wir Bands nach Europa bringen und ihre Musik hier veröffentlichen. Das verdanken wir nicht zuletzt euch und allen J-Rock und Visual Kei-Fans da draußen. Vielen Dank für eure Unterstützung! Wir hoffen, ihr bleibt uns weiterhin gewogen und wir können noch viele großartige Konzerte wie bald MUCC und DIR EN GREY zusammen erleben, mehr großartige Musik hierher bringen und den Bands, die wir mögen, die Anerkennung verschaffen, die sie verdienen. Falls ihr eine Frage an uns oder Vorschläge für neue Bands für Gan-Shin und Okami Records habt, freuen wir uns über eure Mail (info@gan-shin.de) oder eine Nachricht auf Facebook auf einer unsere Seiten (Gan-Shin Records Facebook Page & Okami Records Facebook Page. Wir können vielleicht nicht alle Vorschläge und Wünsche erfüllen, aber wir freuen uns immer über eure Tipps!"
JaME bedankt sich ganz herzlich bei Neo Tokyo, Herrn Müssig, Frau Jacobi, Gan-Shin Records und Okami Records für die Ermöglichung dieses Interviews.
JaME traf sich mit SATOchi und YUKKE von MUCC vor ihrem Live in Berlin. Wir besprachen die Wichtigkeit des Augenblicks, die Europa-Tour und das bald erscheinende Mini-Album.
Matthias Müssig, Geschäftsführer von Neo Tokyo sowie Gründer von Gan-Shin Records und Okami Records, beantwortete uns ein paar Fragen zu seinen Ursprüngen, dem Digital-Download-Markt und zur Akzeptanz japanischer Musik in Europa generell.