Welch ein denkwürdiger Tag, dieser 26. April 2015. SCANDAL haben am Vortag schon Paris ordentlich gerockt und nun folgt ein ausverkauftes Konzert, das heißer nicht erwartet werden könnte. Nach einer über siebenjährigen Bandgeschichte haben es die Mädels endlich geschafft: Eine Welttournee! Diese führt sie unter anderem in den europäischen Raum, wo sie in Frankreich, Großbritannien und Deutschland ihre Fans beglücken.
Natürlich sind schon Stunden vor dem eigentlichen Auftritt zahlreiche Fans vor der Location versammelt, doch werden es zusehends mehr. Man mischt sich unter das Volk, um dann doch seinen Platz in der endlos wirkenden Schlange zu finden. Diese reicht weit über den Eingang hinaus. Sehr artig platzieren sich die SCANDAL-Liebhaber auch bei kühlem Wind an der anliegenden Häuserfront und harren zwar geduldig, aber voller Vorfreude aus.
Gelegentlich streift ein kleines japanisches Team, mit einer Kamera im Anschlag, die Fans und fragt hier und da freundlich nach Interviews. Ob es diese Aufnahmen auf die kommende BluRay/DVD schaffen werden, bleibt offen. Nach dem gemächlich von statten gehenden Einlass sind die ersten Pflichtgänge natürlich zum Merchandisestand, wo es T-Shirts, Hoodies, Fotokarten, CDs und Taschen zu erstehen gibt, und dann schnell zur Garderobe.
Die ausverkaufte Halle ist gewohnt gemütlich und so reiht sich ein jeder Fan dicht an dicht, um sich eine möglichst gute Sicht auf die zu erwartenden Schönheiten zu sichern – dennoch gibt es keine Streitigkeiten um die besten Plätze. Traumhaft zu beobachten bleibt, wie weibliche Fans sich euphorisch über die Kraft und Energie der vier Damen austauschen und bewundernde Worte in dieser vermeintlichen Männerdomäne finden. Wie bereits erwähnt reicht das Publikum von alt bis jung, männlich, weiblich und irgendwas dazwischen. Die Anspannung wächst zusehends. Ein letztes Mal werden die Instrumente von den Technikern gestimmt, was schon fleißig bejubelt wird.
Dann, nach gefühlten Stunden, obwohl es relativ pünktlich begonnen hat, tut sich etwas: SCANDAL betreten endlich die Bühne. Tomomi wird mit lautem Jubel empfangen, wie es dieser liebreizenden Bassistin gebührt. Rina, die junge Dame am Schlagzeug, wird ebenfalls lautstark begrüßt, dicht gefolgt von Mami, der wohl farbenprächtigsten Gitarristin im japanischen Pop/Rock, die frenetisch begrüßt wird. Leadsängerin Haruna ergreift ihre Gitarre und scheint anfangs etwas irritiert über die lauten unterschiedlichen Zurufe. Sollten doch alle die tiefen Stimmen ihrer männlichen Fans gewohnt sein, scheint hier der neu gewonnene Boden etwas unsicher.
Mit "love in action" werden die ersten Töne dieses Konzertes eingeleitet. Es ist ein vergleichsweiser ruhiger Song, der Tomomis Stimme in den Vordergrund rückt. Gleichzeitig ist eine gewisse Erleichterung bei Band und Publikum spürbar: SCANDAL haben es tatsächlich geschafft, die O² Acadamy in London restlos zu füllen! Zaghaft wird abermals gejubelt, die Fans bewegen sich im Takt des Liedes. Ohne Unterbrechung ertönt dann auch schon die Melodie des nächsten Titels "SATISFACTION". Erste Freudentränen fließen bei einigen Fans, rhythmisch stoßen sie die Hände in die Luft, klatschen, geben ihrer Freude und Dankbarkeit kraftvoll Ausdruck.
Die ersten technischen Schwierigkeiten machen sich bemerkbar. So kann Tomomi ihren Bass scheinbar nicht richtig hören und gibt unvermittelt einen Hinweis an die Crew, während sich Mami bemüht ihren Gitarrenpart anständig über die Bühne zu bringen. Harunas anfängliche Zurückhaltung zeigt sich ebenfalls in ihrer gesanglichen Qualität. Als wären die Mädchen noch unsicher, vor den ausländischen Fans die ersten Songs zum Besten zu geben, obwohl das Publikum bereits aufgeheizt ist. Doch dann folgt der Katalysator – "DOLL"!
In der Geschichte der Band haben zahlreiche Songs ihre eigene Erfolgsgeschichte, doch "DOLL" zählt zu den meist gewünschten auf jedem Konzert. Ein leichtes Drumintro, gefolgt von einem mitreißenden Gitarrenriff, verheißt einen Mitklatschsound, der in wildem Wirbel verschiedenster Kleidungsstücke mündet – das Versprechen auf einen mitreißenden Abend. Genau so kennen es die europäischen Fans von SCANDALs DVDs. Und so wird das Eis gebrochen. Die Fans headbangen und es wird fleißig getanzt. Beim Refrain ertönen unaufhörlich Freudenschreie, kräftig streckt das Publikum die Arme in die Höhe.
Nun gut, die erste Hürde ist genommen. Man ist angekommen in London. SCANDAL scheinen zu verstehen, dass sie auch hier eine große Fanbase besitzen und es folgt eine kurze Vorstellung der einzelnen Mitglieder. Je nach Ermessen wird hier die favorisierte Sängerin bejubelt oder Rina mit lautem Gegröle gehuldigt. Jede dieser zauberhaften Damen gibt dabei vorab noch ein kleines Statement in Englisch ab, wobei Tomomis Satz besonders hervorzuheben ist – "Finally we met. Let’s have fun tonight!". Und so sei es!
Mit "Shunkan Sentimental / 瞬間センチメンタル" setzt ein weiterer Upbeatsong ein, der die Menge noch weiter zu beflügeln versucht. Das Punlikum lässt sich vom Rhythmus mitreißen und untermalt den Song mit lauten, freudigen Rufen. Selbst beim nicht ganz so fein getunten Gitarrensolo von Mami wird diese vierköpfige Formation einheitlich begeistert angefeuert. Am Ende dieses Songs erschallt ein unglaublicher Jubel und SCANDAL sind sichtlich gerührt von so viel Zuspruch und diesem aktiven Publikum.
"SCANDAL BABY" setzt zu dieser frühen Phase des Konzertes dem Ganzen die Krone auf. Ein Song, der eigentlich als Eröffnung oder zum Abschied noch einmal alles abverlangen soll, kommt unverhofft im ersten Drittel – es gibt kein Halten mehr. Die europäischen Fans singen lauthals mit und drücken sich systematisch weiter nach vorn. Gerade als Tomomi mit ihrem Bass und Mami sich mit ihrer Gitarre Haruna nähern und ihre Köpfe auf deren Schulter legen, gibt es einen unaufhaltsamen Jubelsturm, der die kleine Halle durchflutet. Fast schon unheimlich wirkt das Mitsingen des Saales bei Tomomis kurzem, aber einprägsamen Gesangspart im letzten Drittel dieses Songs. Haruna versucht noch einmal, die tobende Menge zum richtigen Text zu bewegen, doch diese ist losgelöst und trällert fröhlich vor sich hin, bis Haruna ihren Part wieder selbst übernimmt. Ein herzliches "Thank You!" animiert weiterhin alle Fans, ihr Bestes zu geben.
Der nächste Song "kagen no tsuki / 下弦の月" gibt dem Publikum genügend Zeit und Freiraum, sich die Outfits von SCANDAL näher zu betrachten. Es ist schön, dass SCANDAL bei ihren europäischen Auftritten nicht auf ausgefallene Outfits setzen, sondern eher mit stilistischen Akzenten glänzen. Denn selbst diese Outfits sind bei einer derartig starken Frauenformation nur Beiwerk für eine übergreifende Energie. Mit harter Arbeit und stetigem Wille, haben es die vier Mädels dauerhaft und erfolgreicher denn je in die japanischen Charts geschafft, sich etwas aufgebaut, das ohne entsprechenden Ehrgeiz undenkbar gewesen wäre. Es ist schön, dass sie nun die Früchte ihrer Arbeit live auf einer europäischen Bühne genießen können.
Der wohl stärkste Song des aktuellen Albums "HELLO WORLD" – "Onegai Navigation / お願いナビゲーション" – verbindet noch einmal alles, worauf langjährige Fans hin gefiebert haben. Schnelle Riffs, Akkord-Drumarbeit, abwechselnde Stimmen und einen traumhaft eingängigen Refrain. Bei derartigen Songs zeigen SCANDAL ihre volle Qualität. Was nicht heißen soll, dass Mamis anschließender Solosong "Hon wo Yomu / 本を読む" nicht gut wäre. Es ist ein quirliger Titel mit Wohlfühl-Effekt. Mami weiß ihre Stimme, die sich von denen der anderen Member so prägnant unterscheidet, gekonnt in Szene zu setzen. Daneben schmeichelt sie mit frechen Blicken ihren Zuschauern und bedient ihre Gitarre mit leichten Soli, die ihr genügend Freiraum geben, noch einmal über die schwitzende Menge zu schauen.
Nach Mami hat nun Tomomi ihren Soloauftritt, der leider nicht mit der Intensität von beispielsweise "Kill the Virgin" einher kommt, aber durchaus in das aktuelle "HELLO WORLD"-Konzept passt. Dennoch hätte ich mir gerade für Tomomi einen spektakuläreren Einzelpart gewünscht. Das anderen Fans scheinen nichtsdestotrotz begeistert.
Nun wird es kurz still in der O² Acadamy. SCANDAL verlassen jeweils ihre Instrumente und die Menge ist verunsichert. War es das schon? Schreien wir jetzt schon nach einer Zugabe? Eine Drumeinspielung vom Band setzt ein. Geflüster füllt den Saal. Könnten sie jetzt "Dobon Dobon Do no / どぼんどぼんどのテーマ" spielen? Nein – Anders – Überraschend – Sehr gut! Rina verlässt ihr Schlagzeug und greift sich beherzt die bereitstehende Gitarre. Alle anderen Member formieren sich wie gewohnt an ihren Plätzen, doch senken, wie in schweigender Andacht, ihre Köpfe. Rina beginnt zu singen und es ertönt ein unbeschreiblicher Jubelsturm. "Oyasumi / おやすみ" wird von Rina so hervorragend gemeistert, dass es schwer fällt, diesen Song auf dem aktuellen Album noch als beiläufig zu betrachten. Sie vermittelt eine unglaubliche Freude und sieht mit ihrem Zopf auch noch atemberaubend gut aus. Vor allem ist dies eine Überraschung für Fans, die diesem Song noch nie so viel Energie zugesprochen hatten. Doch Rina macht ihre Performance so elegant und dynamisch, dass dieser Titel, trotz des stark Synthesizer-lastigen Sounds, einen Charme ausstrahlt, dem man sich nicht entziehen kann.
Haruna teilt ihrem Publikum nach diesem Song mit, dass der kommende eine besondere Message vermittelt und kündigt "Departure" an. Das Publikum ist nun sichtlich mitgenommen durch diese abwechslungsreiche Darbietung. Während die ersten Reihen unaufhörlich jede Zeile mit ihren Idolen mitsingen, wiegen sich die hinteren wie in Trance und genießen die Musik. Trotz der Unterschiede ist es ein gemütliches Miteinander und überall konnten die Mädels von SCANDAL in lächelnde Gesichter blicken.
"Taiyo to kimi ga egaku STORY / 太陽と君が描くSTORY" reißt dann doch noch einmal alle aus ihren Welten. Das gemeinschaftliche Klatschen bekräftigt die friedliche Partystimmung im gesamten Raum. Und so wird abermals ausschweifend getanzt, sich in den Armen gelegen und gesungen. Ein wirklich wunderbarer Song an dieser Stelle des Konzertes. Das Gitarrensolo von Mami bestärkt alle in ihrer Freude, Teil des Ganzen sein zu können. Darauf folgt der Song "Yoake no Ryuuseigun / 夜明けの流星群", der leider von seinem Nachfolger komplett überschattet wird.
Kurz vor der Pause gibt es noch einmal ein unerwartetes Gefühlsgewitter. "Your Song" entwickelt sich zu einer unheimlichen Stimmungskanone. Der kurzweilige Backgroundrefrain ist ein Garant für ausgelassenes Feiern im Publikum. Während sich Haruna und Tomomi bei ihren Gesangsparts abwechseln, bleibt dem Publikum ein einheitliches beipflichtendes „Oooh oooh oh!“. Und das wird in vollen Zügen genossen! Vor allem die männlichen Fans finden hier ihre stimmliche Erfüllung. Haruna animiert mehrmals zum Anstimmen der berauschenden Zeilen und hier scheint sich wirklich jeder zu vergessen. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft „Oooh oooh oh!“ durch die Halle schallte, aber selbst, als mir die Stimme versagte, versuchte ich immer noch jeden Ton aus meiner Kehle zu pressen. Ein herrliches Gefühl, wie Pop/Rock auf einmal Dir en grey, deathgaze, Shonen Knife und DADAROMA Fans zu vereinen weiß. Das nachfolgende "Image" markiert dann aber wirklich das Ende der regulären Setlist.
Naja, was heißt Ende? Die erschöpfte, aber glückliche Menge beginnt die bekannten Zugaberufe – nur dass sie halt nicht aufhört! Sowas erlebt man wirklich sehr selten. Immer wieder, ohne Unterlass bekunden die Fans ihr Verlangen nach mehr. Schier endlos rufen sie nach SCANDAL, klatschen, hören einfach nicht auf. Über 10 Minuten lang erschallen die gleichen Rufe, strecken die Fans die Arme in die Luft, fordern SCANDAL zurück auf der Bühne.
Beeindruckt von der Beständigkeit dieses Verlangens kehren die vier Mädels endlich ins Scheinwerferlicht zurück und stimmen direkt den ersten Song des Encores an: "awanai tsumori no, genki de ne / 会わないつもりの、元気でね" vom Album "STANDART". Zusammen mit ihren Fans feiern SCANDAL damit noch einmal dieses grandiose Konzert.
Der abschließende Titel "EVERYBODY SAY YEAH!" erfreut sich nicht umsonst größter Beliebtheit. Genau dieses Lied vermag noch einmal alle vorhandenen Kräfte zu mobilisieren und so geht es in die wahrhaftig letzte Runde. Das den Fans nur allzu bekannte Riff weckt noch einmal alle müden Geister und bewegt zum Mitsingen. Das Publikum headbangt, klatscht und singt aus voller Kehle, jeder gibt noch einmal alles, um an diesem Abend zum letzten Mal zusammen zu rocken. Alle springen, jubeln, gröhlen, feiern – es ist ein Fest! Pop/Rock vom Allerfeinsten. In diesem Sinne "Everybody say…?"
Natürlich vermisse ich nach all dem Spaß des Konzerts ein Verschenken von gewissen Erinnerungsstücken seitens der Band und auch Songs wie "BEAUTeen", "SPACE RANGER / スペースレンジャー" oder "Hi-Hi-Hi" hätte ich mir gewünscht. Dennoch war die Setlist mehr als gelungen für alle wartenden Fans in Übersee. Alles in allem können Fans und Band also gemeinsam auf einen erfolgreichen Abend in London zurückblicken.
SCANDAL sind ein ideales Beispiel, wie man von einer choreographierten Standardband mit viel Ehrgeiz und Mühe seinen eigenen Weg bestreiten kann. Und was kann es Schöneres geben am Ende eines Lives als das Gefühl "Dieses Konzert hat meine Erwartungen übertroffen" …
Setlist
01. love in action
02. SATISFACTION
03. DOLL
04. Shunkan Sentimental / 瞬間センチメンタル
05. SCANDAL BABY
06. Kagen no Tsuki / 下弦の月
07. Onegai Navigation / お願いナビゲーション
08. Hon wo Yomu / 本を読む
09. Can Beer / 缶ビール
10. Oyasumi / おやすみ
11. Departure
12. Taiyo to kimi ga egaku STORY / 太陽と君が描くSTORY
13. Yoake no Ryuuseigun / 夜明けの流星群
14. Your Song
15. Image
Encore
16. Awanai Tsumori no, Genki de ne / 会わないつもりの、元気でね
17. EVERYBODY SAY YEAH!