umbrella - Kinematograph

Künstler: umbrella
Titel: Kinematograph
Typ: Mini-Album
Stil: Visual Kei, Indie Rock
Veröffentlichung: 21.06.2015
Wertung: 8 / 10

Tracklist:
1. Lumiere
2. Keihaku na hito
3. Sky Fish
4. Tenohira drop
5. Zouka
6. Witch?
7. Bokutachi ga egaita panaroma

Jeder Musikfan und Plattensammler kennt den Moment, in welchem man sich von diesem einen, kleinen Songschnipsel auf YouTube überzeugen lässt und keine fünf Minuten später der Musikindustrie einmal mehr sein Geld in den Rachen wirft. Wenn die CD allerdings nicht hält was die Werbung verspricht, endet das Spiel der Erwartungen jedoch oft in einem wohlbekannten Bad der Enttäuschung und so verstaubten bei mir viele Scheiben nach nur zwei Umdrehungen im Regal. So auch umbrellas drittes Mini-Album, welches auf den Namen "Kinematograph" hört. Einmal gehört und für immer verbannt. Dachte ich jedenfalls bis vor einer Woche. Doch da die Liste mit überfälligen Reviews im Hause JaME nun einmal nicht von selbst schrumpft, war schließlich der Tag gekommen an dem ich die in Deutschland einzig und allein als digitaler Download verfügbare Platte ein zweites Mal aus dem Schrank kramte. Und das Ergebnis des erneuten Durchgangs war für mich eine ausgewachsene Überraschung.

Aber von Anfang an: Passend zum Titel startet die CD mit dem Intro "Lumiere", welches nach den französischen Brüdern und Kinopionieren Lumiere benannt wurde. Diese patentierten ganz nebenbei auch den namengebenden Kinematograph. So ist "Lumiere" nicht nur ein netter Querverweis, sondern auch ein wirklich stimmungsvolles und gelungenes Intro, das mit seiner verträumten Art die Weichen für die folgenden 25 Minuten stellt. Denn wer einen Start mit Magnesiumblitz erwartet, kann sich gleich wieder setzen. Vielmehr startet der erste Song "Keihaku na hito" mit Geige und Kontrabass, statt mit den obligatorischen Gitarren-Riffs. Und die ungewöhnliche Instrumentalisierung, zu der sich nach kurzer Zeit Band und ein Klavier gesellen, zahlt sich voll aus, denn "Keihaku na hito" ist unschwer als bester Song der CD auszumachen. Leicht und tanzbar in seiner Natur, fühlt sich das Lied an wie ein Herbstspaziergang an den Ufern der Seine.

Umbrella bewegen sich merklich abseits der üblichen Visual-Kei-Pfade, auf denen nur noch wenig zwischen „Bunt-kitschig“ und „Düster-brutal“ existiert. Nicht nur mischen umbrella Klassik-Einflüsse unter, sondern garnieren diesen Genre-Mix zusätzlich noch mit sehr ungewöhnlichen Melodien wie zum Beispiel beim schon deutlich rockigeren "Sky Fish". Wem es wichtig ist sofort gefallen an einem Song zu finden, wird hier herb enttäuscht werden, denn Stil und Melodie erfordern eine gewisse Einarbeitungszeit. Das liegt nicht nur an Huis gewöhnungsbedürftiger Stimme, sondern auch an der nicht auf Hochglanz polierten Produktion. Gerade im eben erwähnten "Sky Fish" verschwimmen die Grenzen zwischen den einzelnen Instrumenten dermaßen, dass der Song zeitweise an ein impressionistisches Aquarellgemälde mit seinen ineinander übergehenden Farben erinnert. Dieser Stil trägt maßgeblich zur verträumten Atmosphäre des Werkes bei und erreicht im tollen Schlusstrack "Bokutachi ga egaita panorama" seinen Höhepunkt, welcher den ein oder anderen Szenekenner an Alice Nines "Alice in Wonderland" erinnern dürfte.

Aber auch die teils obskuren Samples und Dissonanzen, welche besonders beim härtesten Song der Platte "Witch?" unausweichlich in den Gehörgang eindringen, tragen ihren Teil zur schweren Zugänglichkeit bei. Somit fällt "Witch?" definitiv in die Kategorie Geschmackssache und auch "Zouka" wird für gespaltene Meinungen sorgen. Umbrella tun allerdings gut daran ihrem Weg zu folgen und kreieren eine halbe Stunde lang ihren ganz eigenen experimentellen Indie-Rock, ohne sich von irgendwelchen Genrekonventionen einschränken zu lassen. Die Tatsache, dass dabei auch so wunderbare Rocker wie das erfrischende "Tenohira Drop" entstehen können, gibt den Jungs auf jeden Fall Recht und mir Gelegenheit zum Fazit.

Fazit: Umbrellas "Kinematograph" beweist einmal mehr, dass der erste Eindruck täuschen kann. Denn die Platte ist keineswegs langweiliger Kaffesatz der Visual-Kei-Industrie, sondern eine spannende wie experimentelle EP, die vor allem mit ihrer tollen Atmosphäre punkten kann. Wer offen für Neues ist und auch eine längere Einarbeitungszeit nicht scheut, wird mit einem Fest an kleinen Details und tiefgründigen Kompositionen belohnt. Somit sei diese CD all denen empfohlen, die gerne einmal über den eigenen Tellerrand hinausschauen und für die Musik mehr ist als reine Hintergrundbeschallung. Bei mir werden umbrella jedenfalls erst einmal nicht mehr im Regal verschwinden!