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Interview mit Mitsune

26/02/2022 2022-02-26 06:00:00 JaME Autor: Jasy Redakteur: SaKi

Interview mit Mitsune

Das Weltmusik-Ensemble Mitsune beantwortete JaME einige Fragen rund um ihr gerade erschienenes zweites Album, das zugehörige Release-Event und vieles mehr.


© Shari Marks all rights reserved.

Im Februar 2022 veröffentlichten Mitsune – eine von drei Shamisen-Spielerinnen geleitete Band – ihr zweites Album "Hazama". Die drei Frauen, Shiomi Kawaguchi, Tina Kopp und Youka Snell, beantworteten JaME ein paar Fragen rund um das gerade erschienene zweite Album, das zugehörige Release-Event und ihre musikalischen Einflüsse.

Hallo zusammen. Da dies euer erstes Interview mit JaME ist, stellt euch bitte unseren Leserinnen und Lesern vor!

Youka: Hallo JaME-Leser:innen! Wir sind Mitsune, eine weiblich-geführte Shamisen-Band aus Berlin mit Mitgliedern aus Japan, Deutschland, Australien und Griechenland. Heute sprecht ihr mit den Bandleadern vom Shamisen-Trio, Shiomi, Tina und Youka.

Mitsune wurden 2018 gegründet. Wie habt ihr euch alle kennen gelernt und wie sind Mitsune entstanden?

Tina: Wir drei – Shiomi, Youka und Tina – haben uns in Berlin kennengelernt, weil wir Ausschau gehalten haben nach anderen Shamisen-Begeisterten. Unser erster Auftritt war eine Ausstellungseröffnung in Bremen und wir haben das gemeinsame Spielen so sehr genossen, dass wir beschlossen, ein Trio zu gründen. Wir begannen schnell, unsere eigene Musik zu machen, die sich vom traditionellen Shamisen-Repertoire entfernte. Wir sind alle Musikerinnen, die neben der Shamisen auch andere Instrumente spielen: Youka spielt Geige, Shiomi spielt Flöte und Klarinette und Tina spielt Gitarre. In unserer Karriere haben wir außerdem eine Vielzahl von Musikstilen kennengelernt. Als Mitsune haben wir die letzten Jahre damit verbracht, Musik zu entwickeln, die traditionelle Shamisen-Stile ehrt und sie gleichzeitig auseinanderreißt, indem sie Einflüsse aus der Musik des Nahen Ostens, Jazz, Metal, Bluegrass und klassischer Filmmusik aufnimmt, um nur einige zu nennen. In unseren Liedern erzählen wir unsere Lebensgeschichten, unsere kulturellen Erfahrungen und unsere Reise-Erlebnisse. Während der letzten Jahre ist die Band größer geworden und hat sich um die Rhythmusgruppe erweitert. Das gibt uns so viel mehr Möglichkeiten und ergänzt sich wunderbar mit dem Trio.

Ihr kommt fast alle aus unterschiedlichen Ländern. Wie funktionieren die Zusammenarbeit und die Kommunikation untereinander?

Youka: Unsere gemeinsame Sprache ist Englisch, obwohl wir auch immer wieder in einem Sprachmix kommunizieren, darunter Japanisch und Deutsch. Aber wir finden immer einen unkomplizierten, gemeinsamen Platz in der Musik, und ein Großteil unserer nonverbalen Kommunikation findet durch Musik und Lachen statt.

Mit "Hazama" erscheint nun eurer zweites Album. Folgt dieses Album einem bestimmten Konzept – und falls ja, wie sieht dieses aus? Und was verbirgt sich hinter dem Titel "Hazama"?

Tina: Das Wort „Hazama“ bedeutet aus dem Japanischen übersetzt in etwa „dazwischen“ und beschreibt das Gefühl, in der Schwebe zu sein, gefangen zwischen den Welten. Dieses Album ist eine Erkundung der Erfahrungen von Mitsune als kulturübergreifende Gruppe, die im „kulturellen Limbo“ lebt. Dieses ständige Gefühl des Dazwischenseins ist sowohl herausfordernd als auch schön. Die Band wollte die Essenz dieses Gefühls einfangen, sich auf die Schönheit stützen, die es hervorbringen kann, und Spaß daran haben.

Beim Anhören von "Maru" haben wir das Gefühl bekommen, auf einem sommerlichen Straßenfestival in Japan zu sein. Welche Gedanken hattet ihr beim Schreiben des Liedes?

Shiomi: Als ich dieses Lied schrieb – während des ersten Lockdowns in Berlin – vermisste ich die Verbindung zu Menschen so sehr. Ich fühlte mich einsam, es gab weniger Realität und ich dachte, ich befände mich in einem schlechten Traum. Ich machte mir Sorgen um meine Familie und Freunde, die zu dieser Zeit nur wenige Informationen darüber hatten, wie es allen ging. Meine Hoffnung war es, dass wir uns wieder in die Arme nehmen und wieder gemeinsam singen und tanzen können. Ich wollte die Energie unseres Trios, das zusammen singt, mit einer Mischung aus japanischen und lateinamerikanischen Rhythmen durch Percussion und Kontrabass kombinieren. Mitsunes Musik ist die Verbindung von Menschen, Kulturen und der Welt.

Nach welchen Kriterien wählt ihr die Volkslieder aus, die ihr spielt?

Shiomi: Es sind nicht nur Volkslieder sondern auch viele andere Musikgattungen. In der Regel sind die Lieder Empfehlungen von Freunden oder aus dem Radio, von DJs, Entdeckungen auf Reisen, Bar-Musik, Plattenläden-Funde, Konzerte, zufällige Internet-Ergebnisse, es gibt so viele Orte! Besonders hilfreich ist der Austausch mit anderen Musiker:innen – einfach ständig über Musik zu reden und so immer etwas Tolles zu entdecken, das ist wirklich spannend. Ich bin immer offen für die Volksmusik, ob alt oder neu, ob berühmt oder nicht. Gute Dinge sind gut.

Welchen Track auf eurem neuen Album würdet ihr Leuten empfehlen, die vorher noch nie etwas von euch gehört haben – und die eventuell mit dem Klang einer Shamisen nicht vertraut sind?

Tina: "Kaigara Bushi" ist ein toller Einstieg, weil es mit einem recht traditionellen Ansatz eines japanischen Volkslieds beginnt, dann aber dieses Lied aus einer ganz anderen, groovigen Richtung erkundet, um dann in den letzten Takten nochmal das Originalthema anklingen zu lassen.

Shiomi: Das Album ist definitiv eine Einstiegsempfehlung für Shamisen-Neulinge! Nach unserem Album-Release-Konzert kamen sogar japanische Gäste zu uns und sagten, dass sie sich nie für dieses so traditionelle Instrument Shamisen interessiert hätten. Aber wegen unserer Musik waren sie wirklich aufgeregt und neugierig auf Shamisen, sie vermissten sogar Japan. Das neue Album "Hazama" hat eine tolle Essenz aus Kulturen über die Klänge hinaus, die von allen unseren Mitgliedern kreiert wurden. Es ist eine Mischung aus Tradition und Gegenwart, also empfehlen wir die Lieder nicht nur Liebhabern traditioneller Musik!

Ihr schreibt ja auch eigene Stücke. Was dient euch da als Inspiration?

Shiomi: Ich habe mich von meinen Gefühlen und Gedanken in unterschiedlichen Lebenssituationen inspirieren lassen. Und auch von dem, was ich mit Mitsune Neues ausprobieren möchte, z.B. mehrstimmig singen oder den Solopart einem bestimmten Bandmitglied überlassen. Ich finde es aufregend, wenn wir zusammen spielen und die Vorstellung meiner Lieder wird im Zusammenspiel viel bunter und umfassender!

Wie läuft der Schreibprozess bei euch im Allgemeinen ab? Schreibt jeder von euch Stücke oder arbeitet ihr komplett gemeinsam daran?

Youka: Normalerweise hat eine von uns eine Idee und bringt sie zuerst ins Shamisen-Trio – das kann alles sein, von einem melodischen Fragment bis hin zu einem ausgearbeiteten Arrangement. Wir arbeiten im Trio daran, bis wir mit der Struktur und dem Arrangement zufrieden sind. Dann bringen wir es in die Rhythmusgruppe, um ihren Groove und Flair hinzuzufügen. Wir lassen uns sowohl von emotionalen als auch von konzeptionellen Dingen inspirieren – persönliche Geschichten, Feiern, Trauer, Natur, verschiedene Skalen und Stimmungen, Klangtexturen, Rhythmen. Hauptsächlich inspiriert uns das gemeinsame Spielen, das Gemeinschaftsgefühl, das wir als Gruppe haben.

Es gibt für das Spiel der Shamisen drei Grundstimmungen (Honchoushi, Niagari und Sansagari). Erklärt doch einmal kurz die Unterschiede und welche Stimmung ihr persönlich am liebsten mögt. Inwiefern fließen die eigenen Stimmungsvorlieben mit in den Schreibprozess ein?

Tina: Allein auf dem neuen Album sind vier verschiedene Stimmungen vertreten, sogar noch mehr, wenn man nicht nur die verhältnismäßige Stimmung der Saiten untereinander, sondern auch den jeweiligen Grundton betrachtet. Die Shamisen ist ursprünglich als Instrument für die Gesangsbegleitung entstanden und wurde immer passend zur Stimmlage gestimmt. Honchoushi beschreibt dabei die Grundstimmung, bei der die Saiten in Quarte und Quinte gestimmt werden. Bei Niagari wird die zweite Saite hochgestimmt zu Quinte und Quarte und bei Sansagari wird die dritte Saite runtergestimmt auf Quarte und Quarte. Die meisten Stücke, die wir spielen, sind in Niagari. Wir spielen aber auch diverse Sonderstimmungen, die gänzlich von diesen Stimmungen abweichen. Wir passen die Stimmung wortwörtlich der Stimmung eines Liedes an.

Zu eurem Titelsong "Hazama" habt ihr ein Stop-Motion-Video produziert. Wie kam es dazu und warum habt ihr euch für diese aufwendige Technik entschieden?

Tina: Nachdem Shiomi ihr Artwork für das Albumcover fertiggestellt hatte, wollte ich diese Figuren sofort zum Leben erwecken und sie unsere Musik spielen lassen. Mit Stop-Motion-Animation hatten wir die Möglichkeit, in das „Hazama“-Gefühl einzutauchen, in der Schwebe zu sein, sich zu verirren und Teile zusammenzufügen, einen Raum der Zugehörigkeit zu finden, den wir uns vorher nicht hätten vorstellen können. Alle drei von uns haben Ideen und handgefertigte Stücke zu diesem Musikvideo beigetragen, und die Szenenbilder der Berliner Künstlerin Sabine Sikora versetzen alles in ein eigenes Universum.

Drückt ihr euch als Künstler vorrangig über die Musik aus oder könnt ihr euch vorstellen, auch andere Kunstformen (z.B. Stop-Motion-Filme, Malerei, Darstellendes Spiel) in eure Darbietung zu integrieren?

Youka: Auf jeden Fall lieben wir es, andere Kunstformen in unseren Ausdruck einzubeziehen. Wir arbeiten derzeit mit einer VR-Künstlerin – Jennifer Greb aus Washington D.C. – an einer VR-Animation für einen unserer Songs zusammen. Shiomi ist ausgebildete Bildhauerin und sehr talentiert in visuellen Medien. Sie hat das Original-Artwork für unser Albumcover und alle Artworks für die Singles "Maru", "Fusako no Hula" und "Kaigara Bushi" erstellt. Tina ist auch eine talentierte Animatorin und Grafikdesignerin. Sie hat das "Hazama" Stop-Motion-Animationsvideo erstellt. Und ich arbeite nebenberuflich als Art Director/Stylistin. Wir haben also einen großen Pool an visuellen Talenten in unserem Arsenal!

Die vergangenen Jahre waren für die Veranstaltungsbranche und Künstler sehr schwer. Wie habt ihr das erlebt? Welche besonderen Herausforderungen musstet ihr bewältigen? Hat diese Zeit vielleicht auch etwas Positives gebracht?

Tina: Zunächst einmal hat diese Zeit uns in unseren Freundschaften noch mehr zusammengeschweißt. Rücksichtnahme auf alle Bandmitglieder und ihre Gesundheit hatten oberste Priorität. Die letzten Jahre waren finanziell und mental immer wieder sehr belastend. Aber wir haben in dieser Zeit auch sehr intensiv an neuen Songs und den Aufnahmen für das neue Album arbeiten können. Und wir wissen, dass wir mehr aneinander haben als bloß musikalischen Austausch. Wir sind gemeinsam da durch gegangen und waren immer füreinander da.

Zusammen mit dem Release fand am 18. Februar auch ein Konzert im Badehaus Berlin statt. Wie war es?

Youka: Das Konzert war fantastisch! Wir haben die meisten Songs unseres Albums präsentiert, plus ein paar besondere Extras, darunter historische Musik im Tsugaru Jonkara-Stil und ein Medley aus Rocksongs. Unsere Konzerte sind immer ein Augenschm – für Bühnengestaltung, Beleuchtung und Kostüme geben wir alles. Wir möchten, dass das Publikum eine Fantasie erlebt, nicht nur in der Musik, sondern mit allen Sinnen.

Welche Wünsche und Erwartungen hattet ihr selbst an das Release-Konzert und die Veröffentlichung eures zweiten Albums?

Youka: Vor allem wollen wir auf den Bühnen der ganzen Welt stehen, unsere Musik teilen, Energie mit dem Publikum austauschen und Menschen nah und fern den Shamisen-Zauber zeigen.

Vielen Dank für das Interview. Richtet zum Abschluss doch noch ein paar Worte an unsere Leserinnen und Leser!

Tina: Wir lieben es, unsere Begeisterung für Shamisen Musik mit euch teilen zu können. Wenn ihr mehr über uns wissen möchtet oder uns mal live treffen mögt, findet ihr Aktuelles immer auf unserer Website oder folgt uns auf Facebook oder Instagram (@mitsunemusic). Und wenn ihr Wünsche habt, was wir mal mit Shamisen Musik verbinden sollten, gebt Bescheid! Wer weiß, vielleicht erfüllen wir sie ja. Es gibt so viele tolle Musikstile und Instrumente auf der Welt zu entdecken und zu erleben; wir genießen das immer wieder aufs Neue und laden auch euch aufs Herzlichste dazu ein.

Hier im Anschluss könnt ihr euch noch ein Livevideo von "Fusako no Hula" ansehen.

JaME bedankt sich ganz herzlich bei Mitsune und NuzzComm Music Office für die Ermöglichung dieses Interviews.

Zugehörige Künstler

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Zugehörige Veröffentlichungen

Album CD 2022-02-18 2022-02-18
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