Review

Tokyo Jihen - Goraku

06/11/2007 2007-11-06 12:00:00 JaME Autor: Finja

Tokyo Jihen - Goraku

Album CD

Goraku (Variety)

Tokyo Jihen

Als das neue Album von Tokyo Jihen veröffentlicht wurde, war ich gerade in Japan. Egal wo man war, überall wurde das neue Release präsentiert und gefeiert, aber erst an einem regnerischen Nachmittag in Shimokitazawa entschied ich mich letztendlich dazu, die CD zu kaufen. Ich bin schon lange Fan von Shéna Ringö und ihrer unverwechselbaren Stimme und hielt sofort inne, als ich an einem unscheinbaren CD-Shop vorbeikam und ihren Gesang hörte. Vor dem Laden war ein kleiner Fernseher aufgebaut, in dem das Werbevideo in Dauerschleife lief - der verrückte Clip überzeugte mich sofort und prompt wurde das gute Stück gekauft.

Die CD macht rein optisch schon mal was her: Eingepackt ist sie in eine stabile Papp-Schiebehülle mit großem Bild von Tokyo Jihen darauf, es sieht so aus wie eine Fernsehaufnahme. Die CD-Hülle (auch die CD) selbst ist schwarz-pink kariert und hat dadurch einen gewissen hypnotischen Effekt. Im qualitativ hochwertigen Booklet sind neben weiteren Bildern des vermeintlichen TV-Auftrittes der Band die Texte und das einzige scharf geschossene Foto: Die Band vor einem Fernseher in dem ihre eigene Sendung läuft, allesamt mit Fernbedienungen in der Hand. Umschalten ist aber nicht, denn diese CD hat es in sich. "Goraku" heißt übersetzt so viel wie "Vielseitigkeit", und dass sie vielseitig sind beweisen Tokyo Jihen auf dieser CD definitiv.

Kommen wir also zum wichtigsten: Der Musik. Das Ganze beginnt mit "Ramp", dem Ohrwurm-Song des Albums. Munteres Keyboard-Intro, seichte Gitarren in Kombination mit Shénas Stimme, die, obgleich die Sängerin selbst offensichtlich einige Veränderungen durchgemacht hat, ihren verträumten, leicht melancholischen Klang behalten hat. Selbst der ziemlich heitere Refrain macht das Lied durch ihre einzigartige Art zu Singen nicht zu einem typischen J-Pop-Werbejingle-Song, sondern bietet zu den besinnlichen Strophen einen interessanten Kontrast. "Mirror Ball" kommt gleich ganz anders daher, ein sehr bearbeitetes Intro geht in fast schon an Funk erinnernden Gitarrensound über, dazu kommt Shénas in diesem Lied stark bearbeitete Stimme, ein extrem cooler Song, der zwar keine Melodie hat die man sich leicht einprägen kann, aber dennoch Ohrwurmqualität hat. Hört man das Lied, weiß man, warum es "Mirror Ball" (dt. Diskokugel) heißt, es ist zwar kein Dancefloor-Song im typischen Sinne, regt durch den eingängigen Takt allerdings zum Mitwippen an. Die gelegentlichen Klavier-Einlagen lockern das Ganze (was bis dahin teilweise etwas düster daherkommt) noch auf und Shénas Stimme, die zum Ende hin immer mehr bearbeitet ist klingt zunehmend verrückter, der Schluss des Liedes lässt sich leider nur schwer beschreiben, ist aber definitiv empfehlenswert. Tokyo Jihens Abgedrehtheit vom Feinsten. "Kingyo no Hako" ist schnell, fast schon ein wenig zu hektisch in den Strophen, was allerdings perfekt zu Shénas Gesang passt, der teilweise fast schon sarkastisch klingt. Das Lied ist mir etwas zu überdreht, die schrillen Keyboard-Sounds tun im Refrain fast schon weh (Klingt gerade beim Keyboard-Solo ein wenig wie die Vampire, die in Horrorfilmen furchtbar dramatisch an riesigen Orgeln sitzen und klimpern), während die Strophen wirklich zu gefallen wissen.

Nach diesen drei Krachern kommt "Shiseikatsu" unerwartet ruhig daher. Shénas Stimme, die anfangs nur von E-Gitarre und Klavier begleitet wird, klingt wesentlich erwachsener. Leider wird das Lied schnell etwas trivial, da haben die Fünf schon überzeugendere Stücke dieser Art gebracht, obgleich das Lied besonders durch das dramatische Gitarrensolo mit dem gewissen Kitschfaktor so manchen erweichen dürfte. Die letzten 50 Sekunden sind dann tatsächlich kein bisschen trivial mehr, sondern verschaffen Gänsehaut-Feeling und hinterlassen zumindest mich nach dem Ausklingen der letzten Töne melancholisch. Da kommt "OSCA" wie gerufen. Der Song, welcher auch schon als Single veröffentlicht wurde, ist mein persönlicher Favorit. Das schnelle Intro ist wunderbar funky, schnelle Riffs in Verbindung mit Drums, dazu Shénas "One.. two.. one" - ich habe ab dieser Stelle sofort geahnt, dass dieser Song ein Kracher ist. Der dominante Bass, der sich durch das gesamte Lied zieht in Verbindung mit dem verrückten Gesang… Shéna übertrifft sich hier mal wieder selbst: Mal entspannt und distanziert, fast schon arrogant, dann wieder voller Gefühl und intensiv, es ist eine Freude, ihr zuzuhören. Im Refrain krächzt sie beinahe. Das Lied hat zumindest bis zur Minute 2:44 eine gewisse Linie, ab dann überschlagen sich die Instrumente und der Gesang, was keinesfalls negativ zu werten ist. Sicherlich kein Lied, welches man zum Entspannen hören wird, aber definitiv ein Ohrwurm. Irgendwann klingen dann die letzten Töne aus, man denkt, es wäre vorbei - aber nach kurzer Stille setzt der schnelle Bass wieder ein, in der letzten Minute wird aus "OSCA" nach erneutem "One.. two.. one" ein ganz neuer Song, schnell, verrückt und definitiv belustigend, obgleich es beinahe schon ein wenig unheimlich ist, wie Shéna am Ende "Sista Oscaaaaa~!" brüllt.

"Kronekodow" beschreibt sich mit dem Titel eigentlich recht gut selbst. Das Lied beginnt mit an Kalinka erinnernde Beats, schnellem Gesang und wirkt fast schon ein wenig albern, was aber durchaus beabsichtigt zu sein scheint. Der Refrain zeichnet sich durch eine gewisse Ambivalenz aus, die Shéna unglaublich gut zu übermitteln weiß, bei so einem munteren Lied dennoch eine gewisse Melancholie durch Gesang einzubringen ist keine leichte Aufgabe, aber sie schafft es. Im Finale überschlagen sich die Instrumente beinahe, da wirkt es fast schon so, als wollten Tokyo Jihen sich selbst auf die Schippe nehmen, als schließlich das völlig belanglose, von Pfeifen begleitete Outro folgt. "Fukushu" ist wiederum ein vollkommen anderer Song. Ungewohnt düster, ungewohnt erwachsen. Das Lied erinnert mich sehr an alte Sachen von der deutschen Band Guano Apes, verzerrte Gitarren und melancholischer, dabei leicht aggressiver Gesang. Definitiv etwas Neues, zwar nicht wirklich innovativ (Gerade in den europäischen Charts hört man Lieder dieser Art oft), dennoch hat das Lied seinen ganz eigenen Charme. Der Gesang ist übrigens gänzlich auf Englisch und ein Blick ins Booklet lohnt sich, der Text ist sehr fesselnd und der Refrain hat es in sich, gerade in Verbindung mit der Stimme der Sängerin.

"Are you afraid to close your eyes
Afraid there's nothing left to die
On hills of ice there burns a fire
I'm coming for you from behind"

Nach diesem Lied kommt das gechillte "Botomin" wieder etwas überraschend und zeugt abermals von der Vielfältigkeit des Albums. In diesem Lied gibt es ein Duett (Leider weiß ich nicht, wer Shénas männlicher Gegenpart ist), die beiden Stimmen harmonieren perfekt miteinander, dazu kommt die Männerstimme, die vor den Strophen immer wieder von 'weit her' Dinge ruft und das Ganze sehr auflockert. Der Song ist von der Melodie her eher optimistisch und entspannt, der Gesang drückt in Verbindung mit dem Text eine Mischung aus Melancholie, Resignation und Freude aus - der Zwiespalt um den es in dem Lied geht, wird durch Gesang und Melodie perfekt übermittelt. "Is this right? No. Is this wrong? No." Auch "SSAW" ist ein Duett, welches an gewissen Stellen sehr zauberhaft, an anderen aber leider zu trivial ist. Der Refrain ist verträumt und beide Sänger zeigen sich von einer sehr zarten Seite (besonders im Teil des Songs, der nur von seichten Keyboardtönen begleitet wird, in dem die beiden ordentlich auf die Tränendrüse drücken), leider sind die Strophen etwas langweilig. "Tsukigime hime" hingegen ist kein bisschen banal, das keyboardlastige Lied hat etwas Unheimliches, was von dem Wechselspiel der Stimme sehr untermalt wird: Mal übertrieben niedlich und schrill, dann auf einmal überraschend tief und streng, das Ganze hat etwas von einer Spieluhrenmelodie in Verbindung mit dem oben bereits erwähnten Orgel-Vampir. Verrückt. "Sake to Geko" ist ein weiterer Favorit von mir, die überdeutliche Artikulation gemischt mit den rhythmischen, sauberen Gitarrenklängen wirkt beinahe steril, doch wie man es von Tokyo Jihen gewohnt ist, stellt der Refrain den krassen Kontrast dazu dar, bombastisch und gefühlsgeladen - da ist von der anfänglichen Sterilität nicht mehr viel übrig. "Killer Tune" (Die neue Single) ist tatsächlich ein 'Killer Tune' und wäre meiner Meinung nach das perfekte letzte Lied gewesen, weil es ein gewisses Abschiedsgefühl vermittelt, nicht zu anspruchsvoll ist und besonders mit dem heiteren Klavier-Outro eine harmonische Abrundung nach den zahlreichen verrückten Stücken auf dieser CD bietet. Letzter Song ist allerdings "Metro", ein seichtes Lied, welches aber gerade dadurch sympathisch ist und ein wenig traurig macht. "Oh please try to love me tonight" - dieser Bitte möchte man bei so viel anmutiger Niedlichkeit doch gerne nachkommen, denn ab und zu wirkt Shéna doch etwas verloren, doch genau die Melancholie, die sie in so gut wie jedes Lied bringt, macht die Musik der Band zu etwas ganz Besonderem.

9 von 10 Punkten.

Tracklist:
01 Ramp
02 Mirror Ball
03 Kingyo no Hako
04 Shiseikatsu
05 OSCA
06 Kronekodow
07 Fukushu
08 Botomin
09 SSAW
10 Tsukigime hime
11 Sake to Geko
12 Killer Tune
13 Metro
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