Bands wie
envy und
Long Distance Calling machen es Musikhörern unglaublich leicht und Berichterstattern unsäglich schwer. Die Frage, ob das Konzert nun gut oder schlecht wird, hatte sich schon mit dem ersten gespielten Ton erledigt. Reine Emotion, keine Fassade, kein Image das es aufrecht zu erhalten galt, Musik in Reinform sozusagen. Damit wäre schon das Wesentliche gesagt und eigentlich könnte ich meinen Bericht von diesem unglaublichen Konzert hier enden lassen, aber so unbefriedigt will ich die Leser da draußen nicht zurücklassen, deshalb hier die ganze Geschichte:
Gegen 20:00 Uhr erreichten wir das MUK im beschaulichen Gießener Industriegebiet. Geöffnet war auch schon und somit hieß es: Nix wie rein und erst einmal den Merchandise Stand inspizieren. Ärgerlicherweise war der
envysche Stand recht dürftig bestückt da, wie der freundliche Mitarbeiter uns mitteilte, das Merchandise genau wie die Tour so gut wie ausverkauft waren bzw. sind.
Eine halbe Stunde nach unserer Ankunft ging es dann auch schon los mit dem Quintett
Long Distance Calling. Die Postrocker mit Sitz in Mannheim, Münster und Dortmund waren meiner Meinung nach eine hervorragende Wahl als Support für
envy und für mich war es schier unglaublich, dass diese Band tatsächlich aus Deutschland stammt. Nicht dass ich kein Vertrauen in deutsche Bands hätte, aber die großen Bands an die
Long Distance Calling stilistisch anlehnen, heißen nun Mal
Isis oder
Pelican und stammen aus Nordamerika. Aber jetzt zum Konzert.
Long Distance Callings erstes Stück hieß, so weit ich weiß, "
Jungfernflug" und kam, sehr zu meiner Freude, mit einem Basssound daher, der stark an Muse erinnerte (Für alle die Muse nicht kennen: Es ist die Art von Bass, den man von den Haarspitzen bis zu den Zehenspitzen spürt und der einen quasi dazu zwingt sich zu bewegen). Da somit schon mal für Bewegung im Publikum gesorgt war, führten uns die fünf Jungs während der nächsten halben Stunde durch wunderbar sphärische, zuweilen auch aufbrausende und lebendige Postrock-Epen die durch ihre dichte Atmosphäre nicht einmal einen Gedanke an den fehlenden Gesang aufkommen ließen. Als die Band dann unter dankbarem und anhaltendem Applaus die Bühne wieder verließ hatte sie, wie sich herausstellen sollte, die perfekte Stimmung für den bevorstehenden Auftritt von
envy hinterlassen: Eine leichte Melancholie die einen an verregneten Herbsttagen befällt wenn man aus seinem Fenster nach draußen ins Zwielicht blickt.
Während
envy die nächsten 15 Minuten die Bühne für ihren Auftritt vorbereiteten, ging mir irgendwie durch den Kopf, dass die Truppe aus dem Land des Lächelns eine beachtliche Entwicklung während der letzten 10 Jahre hingelegt hat. Nach einem Spontankauf meinerseits bei einem großen Internet Auktionshaus vor mehr als einem halben Jahrzehnt habe ich
envy als kleine, bescheidene Punkband kennen gelernt. Und heute... intelligenter, epischer, progressiver Post-Rock. Oder einfach eine Band die mit nichts und niemandem sonst zu vergleichen ist.
Da stand ich nun also im gut gefüllten MUK im kleinen Gießen zwischen überwältigenden vielen Tool-T-Shirts und Hardcore-Hoodies, gespannt wie ein Flitzebogen und 100% bereit für alles was da von der Bühne kommen möge um dann nach dem ersten Ton festzustellen dass ich, genau wie alle anderen im Raum, wie vom Donner gerührt und zu Stein erstarrt stehen blieb. Das erste Stimminferno
Fukagawas inklusive Soundwand kam zwar erwartet aber dennoch so heftig, überwältigend und endgültig, dass man gar keine Chance hatte irgendwie darauf zu reagieren. Jetzt werdet ihr euch vielleicht denken: "Ja Moment mal. Das Publikum gleich Hardcore, die Musik auch Hardcore... äh... Moshpit?"
Aber nichts dergleichen. Andächtige Zuhörer soweit man sehen konnte, konzentrierte Gesichter, die mit geschlossenen Augen versuchten jeden Ton und jedes Gefühl, die einem so brachial von der Bühne entgegenkamen, aufzunehmen.
Interessant war es im Laufe des Konzertes auch zu sehen, wie das Publikum bei langsamen, sphärischen Passagen und vor allem dann wenn
Tetsuya Fukagawa sang, extrem hibbelig wurde und nur noch auf den nächsten Ausbruch seitens des Frontmanns wartete.
Und wer sich das Ganze jetzt als hirnloses Geknüppel und Gebrülle vorstellt, der sei eines Besseren belehrt. Eher Musik, präziser gespielt als ein Uhrwerk tickt, in Songs verpackt wie sie spannender nicht sein könnten.
Und so hatten auch die Parts ganz ohne Gesang, wenn
Tetsuya sich vom Publikum abwandte und sich dem mit Elektronik bestückten Tisch hinter ihm zuwandte, ihren ganz eigenen Reiz.
Und nachdem man dann etwa 90 Minuten mit lautem Zorn, leiser Melancholie und brachialer Wut bombadiert und anschließend mit einem strahlenden Lächeln und einem herzlichen "Thank you!!!" verabschiedet wurde, taumelten die Besucher des MUK an diesem Abend glücklich, ausgelassen und entspannt in die kalte Nacht, mit der Gewissheit, selten 11 Euro so gut investiert zu haben.
JaME dankt http://www.konzertassi.de (Kai) herzlich für die bereitgestellten Bilder.