Interview

Interview mit Selia

09/06/2008 2008-06-09 12:00:00 JaME Autor: Kay Übersetzer: Geisha

Interview mit Selia

JaME nahm die Gelegenheit wahr, den Kontratenor Selia über die klassischen und elektronischen Elemente in seiner Musik und seiner Karriere, seine diversen Kollaborationen und noch einiges mehr zu befragen.


© Selia
Ausserhalb Japans ist Selia wohl am besten für seine Mitwirkung bei Tokyo Decadance bekannt, einer Veranstaltung der Tokioter Clubszene, die ihre Aktivitäten auch ins Ausland ausgedehnt hat.

Vergangenen März sollte der Sänger zusammen mit The Candy Spooky Theater für eine kurze Tour nach Europa kommen, aber durch widrige Umstände war es ihm schliesslich doch nicht möglich. JaME liess es sich jedoch nicht nehmen, ihn trotzdem zu interviewen, um diese interessante Persönlichkeit näher kennenzulernen.

Du warst schon einmal mit Tokyo Decadance in Europa. Wie war es und was für Eindrücke hat es bei Dir hinterlassen?

Selia: Letztes Frühjahr war ich zum ersten Mal in Frankreich. Ich hatte mit der Performance alle Hände voll zu tun und daher nicht viel Zeit, mich in der Stadt umzusehen, worüber ich etwas traurig war. Aber Europa ist sehr künstlerisch und die Stadt sah wunderbar aus. Ich habe überall Kunst gespürt!

Gibt es etwas in Europa, was Dir nicht gefällt, oder woran Du Dich nicht gewöhnen kannst?

Selia: Hmm, es liegt wohl daran, dass ich an das Leben in Japan gewöhnt bin, aber das Einkaufen war nicht so einfach. In Japan gibt es viele Geschäfte, die rund um die Uhr geöffent sind, also braucht man nicht darauf zu achten, wie spät es ist. Aber als ich das letzte Mal in Frankreich war, habe ich für kurze Zeit in einem Vorstadtgebiet gewohnt und die Läden dort haben früh zugemacht.

Wann wurde Dir bewusst, dass Du Musiker werden wolltest?

Selia: Ich muss wohl 12 oder 13 Jahre alt gewesen sein. Natürlich habe ich schon vorher Musik geliebt, aber etwa in diesem Alter habe ich mich entschieden, eine professionelle Musikkarriere einzuschlagen. Und dann habe ich mich intensiv mit dem Musikstudium befasst.

Warum nennst Du Dich Selia? Welche Bedeutung hat dieser Name?

Selia: "Selia" basiert auf dem Wort "Selena", dem griechischen Wort für "Mond". Der Mond hat eine helle Seite, die von der Sonne beleuchtet wird, aber auch eine dunkle Seite. Mein Stil als Künstler ist dieses Image, das sowohl "Licht" als auch "Schatten" besitzt, denn nicht nur wir Menschen, sondern auch alles andere in dieser Welt besitzt sowohl "Licht" als auch "Schatten". Selbst Leute, die anderen immer nur die heitere Seite ihres Charakters zeigen, haben eine dunkle Seite, auch wenn sie sie nicht zeigen. Umgekehrt haben auch wirklich furchteinflössende und kalte Menschen eine zärtliche Seite, die sie anderen nicht zeigen. Ich möchte mit Musik die doppelte Natur von "Licht" und "Schatten" in allen Dingen ausdrücken. Gleichzeitig ist es ein wenig philosophisch, aber ich wollte ausserdem die Vorurteile beseitigen, dass "Licht" immer gleichbedeutend mit "gut" und "Schatten" mit "schlecht" ist.

Wie kam es dazu, dass Du Dich für klassische Musik interessiert hast?

Selia: Meine Eltern sind Christen und als ich noch klein war, haben sie mich oft in die Kirche mitgenommen. Das Singen der Hymnen und der Klang der Orgel dort haben mich tief bewegt und daraufhin begann ich, freiwillig klassische Musik zu hören.

Warum bist Du Kontratenor (eine klassische Art zu singen, bei der ein Sänger in der Stimmlage von Mezzosopran oder Sopran singt, die normalerweise nur Sängerinnen vorbehalten ist) geworden, anstatt einen anderen Gesangsstil zu wählen?

Selia: (lacht) Das ist eine lustige Geschichte! Bevor ich in die Pubertät kam, war meine Gesangsstimme sogar noch höher als heute. Meine Stimmlage reichte vom eingestrichenen C' bis zum viergestrichenen C'''' drei Oktaven höher. Mir gefielt diese hohe Stimme, aber als ich in die Pubertät kam, wurde meine Stimme tiefer. Damals dachte ich: "Diese tiefe Stimme ist furchtbar! " und strengte mich an, Falsett zu singen. Bevor ich es merkte, hatte ich mich schon daran gewöhnt. Zu dieser Zeit gab es in Japan einen Kontertenor, der gerade sehr beliebt wurde, und als ich seine Stimme im Fernsehen hörte, dachte ich: "Ah, so zu singen ist auch gut!" Von da an habe ich als Kontratenor gesungen.

Wie lange nimmst Du schon Gesangsunterricht und war es schwer für Dich, diesen Gesangsstil zu lernen?

Selia: Hmm, es dürften beinahe zehn Jahre sein. Ich lerne immernoch! Es war sehr hart, dorthin zu kommen wo ich heute bin, aber es gibt immernoch vieles, was ich verbessern möchte, also muss ich auch weiterhin an mir arbeiten.

Wenn man sich die beiden Lieder von Barbara Strozzi auf Deinem MySpace-Profil anhört, scheint es als hättest Du die Aussprache der italienischen Texte gut gemeistert. Wie hast Du das gelernt?

Selia: Ich habe vier Jahre lang eine Musikhochschule besucht und dort italienischen Gesang studiert. Ich habe es während dieser Zeit gelernt.

Wer sind Deine Lieblingskomponisten?

Selia: Ich kann sie unmöglich alle nennen, es sind zu viele! Aber meine liebsten italienischen Komponisten sind C. Monteverdi, G. Frescobaldi, G. Caccini, F. Cavarri, A. Cesti, G. Kapsberger, G. Sances und G.F. Händel und meine liebsten englischen Komponisten sind H. Purcell, J. Downland, J. Blow, G.B. Draghi und so weiter.

Du spielst auch Harfe. Warum wolltest Du dieses Instrument erlernen?

Selia: Eine der Schwachstellen eines Sängers ist, dass er nicht ohne musikalische Begleitung singen kann. Also dachte ich: "Warum lerne ich nicht ein Instrument, damit ich mich begleiten kann?" Also habe ich mir selbst das Harfespielen beigebracht. Ich bin aber nicht sehr gut, also kann ich es noch niemanden hören lassen.

Spielst Du noch andere Instrumente?

Selia: Ich kann E-Bass und Schlagzeug spielen. Ich habe sogar mehr Erfahrung als Schlagzeuger, denn ich spiele seit zehn Jahren.

Wie hast Du die japanische Gothicszene kennengelernt?

Selia: Ich mochte schon immer die Atmosphäre und bin zu Events gegangen und so weiter, aber die Chance, auf der Bühne zu singen, bot sich mir erst als ich DJ SiSeN kennenlernte. Er kam zu einem meiner Konzerte und nachdem er mich singen gehört hat, wollte er unbedingt, dass ich bei einem seiner Events auftrete. Darufhin bin ich zum ersten Mal auf einem von ihm organisierten Event namens Majou no Hanazono aufgetreten.

Wie bist Du auf die Idee gekommen, klassische und elektronische Musik miteinander zu vereinen?

Selia: Ich mochte schon immer Techno und elektronische Musik, also dachte ich daran, sie zusammen mit klassischer Musik zu verwenden und versuchte es. SiSeN mochte ebenfalls klassische und elektronische Musik, also waren wir uns einig. Wir verstanden einander so gut, dass wir schliesslich zusammen ein Musikprojekt gründeten.

Komponierst Du Deine Musik selbst und, wenn ja, schreibst Du aus einer klassischen oder einer Elektro/Industrial-Perspektive?

Selia: Früher habe ich auf unterschiedliche Weise Musik geschrieben, aber jetzt komponiere ich normalerweise Melodien und meine klassische Sichtweise ist dabei viel stärker. Wenn ich also ein leeres Notenpapier und einen Stift habe, kann ich schon ziemlich viel komponieren. (lacht)

Neben Auftritten auf Gothic-Events gibst Du auch ab und zu klassische Konzerte, die ein völlig anderes Publikum haben. Wie kommt Deine Musik bei diesem Publikum an? Unterscheiden sich die Reaktionen von einen Publikum zum anderen?

Selia: Die Leute, die an mich gewöhnt sind, reagieren nicht so, aber diejenigen, die mich zum ersten Mal sehen, scheinen sehr überrascht zu sein. Bei klassischen Konzerten halte ich mich in Bezug auf Kleidung und Make-up zurück, aber trotzdem scheine ich dem Publikum einen ziemlichen Schock zu versetzen. Viele finden es toll, aber es gibt auch Leute, die sagen, dass sie meine Musik nicht verstehen. Natürlich gibt es Unterschiede vom einen Publikum zum anderen, aber ich denke, dass ich mit beiden etwas Neues fühlen kann. Während das Publikum bei den Gothic-Events über meine Stimme überrascht ist, ist das Publikum bei klassischen Konzerten über mein Aussehen überrascht.

Hast Du vor, in der nahen Zukunft eine CD herauszubringen?

Selia: Ja, diesen Sommer werde ich eine klassische CD angekündigen, aber es ist eine Independent-Produktion. Gleichzeitig möchte ich auch eine CD für mein elektronisches Projekt aufnehmen.

Was für Musik hörst Du privat?

Selia: Nichts Spezielles. Ich höre alles, was ich für gut halte, egal welches Genre. In letzter Zeit habe ich viel klassische Musik und Industrial gehört.

Kannst Du uns etwas über Seirenes erzählen, Dein Projekt mit DJ SiSeN, und was für Pläne Du dafür hast?

Selia: Seirenes hat seinen Namen geändert und heisst nun Selia + SiSeN. Von Mai bis Juni werden wir Konzerte im Rahmen der Tokyo Decadance Tour geben. Nach unserer Rückkehr nach Japan planen wir Auftritte auf wichtigen Events in Tokio. Die Vorbereitungen für die Songs kommen stetig voran, lasst Euch das also nicht entgehen!

Du singst in zwei Songs auf BUCK-TICKs neuem Album Tenshi no Revolver. Wie kam es zu dieser Gelegenheit und wie war es, mit BUCK-TICK zu arbeiten?

Selia: Ich bin auch Nebensänger in der Band AUTO-MOD und der Hauptsänger, Genet, ist mit dem Drummer von BUCK-TICK, Tagami Toll, befreundet. Er kam öfter zu unseren Events und hörte mich dort singen. Es hat ihm gefallen, also bat er mich daraufhin um eine Zusammenarbeit. Ich war etwas nervös während der Aufnahmen, aber ich hatte auch viel Spass! Niemand war überraschter als ich über das Endresultat. Ich hatte nicht erwartet, dass sie meine Stimme so deutlich benutzen würden, also war ich sehr glücklich, als ich die CD hörte. Sollte sich noch einmal die Gelegenheit für eine solche Zusammenarbeit bieten, würde ich sie auf jeden Fall wahrnehmen.

Du hast in vielen Projekten mitgewirkt und mit verschiedenen Künstlern zusammengearbeitet. Gibt es noch andere Projekte, die Du gerne machen würdest?

Selia: Die Projekte, in denen ich derzeit aktiv bin, sind meine Soloprojekte: AUTO-MOD, das Projekt mit SiSeN, Selia+SiSeN, und das Projekt Mad Mood mit dem jungen DJ HOOLIGAN aus Texas. Ausserdem gibt es noch ein anderes Projekt, das langsam Form annimmt! Es ist noch immer ein Geheimnis, aber ich werde demnächst eine weitere Zusammenarbeit bekanntgeben. Was den Inhalt des Projekts betrifft, so werde ich mich an einem akrobatischen Bühnenakt versuchen, der noch grossartiger ist als alles was ich vorher gemacht habe. Ihr dürft also gespannt sein!

Wie wichtig ist Dein Aussehen für Dich auf der Bühne und designst Du Deine Kostüme selbst?

Selia: Kleider sind genauso wichtig wie Wasser oder Luft! Viele meiner Outfits hat ein Freund für mich gemacht. Ich erkläre ihm, welches Image mir vorschwebt, und er designt es. Ich bestimme das Image basierend auf dem Ort, an dem ich auftrete, und dann wähle ich das Kostüm aus.

Was sind Deine Zukunftspläne? Dürfen wir Dich bald wieder in Europa oder vielleicht auch einmal in den USA erwarten?

Selia: Ich möchte auf jeden Fall wieder nach Europa kommen! Ich werde bald mit der Tokyo Decadance Tour auf Reisen gehen, aber ich würde auch gerne als Solokünstler zurückkommen. Und dann nach Amerika! Dort möchte ich auch unbedingt hin! Wenn ich die Gelegenheit dazu hätte, würde ich sofort dorthin gehen! Es wäre schön, wenn ich die Chance hätte, nach Amerika zu gehen.

Wie siehst Du Dich in zehn Jahren?

Selia: Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. (lacht) Ich möchte mehr Aktivitäten in der ganzen Welt unternehmen. Es wäre schön, wenn ich die Chance hätte, an vielen verschiedenen Orten, in vielen verschiedenen Ländern aufzutreten. Ausserdem stammen die klassischen Lieder, die ich singe, aus der Renaissance- und Barockmusik, und ich denke daher, dass viele Leute sie noch nicht kennen. Ich möchte ihnen also diese schönen Lieder nahebringen. Gleichzeitig möchte ich, dass alle noch mehr in dem Vergnügen schwelgen, an einem Event oder Club teilzunehmen, und ich möchte mit vielen Leuten zusammen das Leben und die Musik geniessen.

Bitte richte noch ein paar Worte an die Fans aus.

Selia: An alle, die mich beständig unterstützt haben, vielen Dank! Die Begegnung mit Euch wird immer eine kostbare Erinnerung für mich sein! In Zukunft möchte ich viele verschiedene Dinge durch meine Performance ausdrücken, also bitte unterstützt mich!! Freut Euch ausserdem auf die CD, die diesen Sommer angekündigt wird! Und falls ich Euch über den Weg laufen sollte, während ich in einem fremden Land auf Tournee bin, zögert bitte nicht, mich anzusprechen. Ich würde mich sehr freuen!

Vielen Dank für dieses Interview!

Vielen Dank an Rik und Suu fürs Übersetzen
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