Review

MUCC - KYUTAI -Sphere-

24/04/2009 2009-04-24 18:18:00 JaME Autor: Viktor Hemminger

MUCC - KYUTAI -Sphere-

MUCC in anderen Sphären

Album CD + DVD

Kyuutai (Limited Edition A)

MUCC

Künstler: MUCC
Titel: KYUTAI -Sphere-
Typ: Album
Release: April 2009
Stil: Rock / Metal / Klassik / Epochal-Rock
Bewertung: 9.5 / 10

Tracklisten:

CD
01. Sphere - Instrumental – (kyuutai)
02. Howling (houkou)
03. Ageha
04. Hide and Seek
05. Heat Devil (kagerou)
06. Lemming
07. Oz
08. Flotage (fuyuu)
09. Hymn (sanbika)
10. Sora to ito
11. hanabi

DVD:
01. Live Mitschnitte aus dem Irving Plaza in New York


So viel Disziplin musste sein. In Vertrauen auf das stets zuverlässige Quartett gönnte sich der Autor nicht einmal die Hörproben der offiziellen Myspace Seite. Daher ist das Album in dieser Form definitiv Neuland. Im Falle einer negativen Beurteilung sollte der Gewöhnungseffekt bedacht werden, der im Laufe der Zeit schon bei manchem schwachen Stück gewisse Sympathien erweckte. Dass sich Gan Shin für die deutsche Pressung die Limitierung nach Version A aussuchten, ist definitiv löblich. Eine zusätzliche DVD ist immer ein gern genommenes Geschenk.

Wäre da nicht die deutsche Gesetzgebung. Beim ersten Betrachten im Laden meiner Wahl fiel sofort der visuelle Supergau auf. Da DVDs mit einem FSK Label bedruckt sein müssen, fallen auch Alben die mit DVD kommen unter selbe Regel. Daher prangt ein viel zu großes, knallgelbes FSK 6 auf der Vorderseite des stylischen Covers. Für Sammler und Ästheten in keiner Weise hinnehmbar. Und so ergossen sich auf dem Heimweg Flüche in Richtung überflüssigen Jugendschutzes. Zuhause angekommen klarte das dunkle Gemüt wieder auf. Ein großes Lob an Gan Shin, die diesen gesetzlichen Fauxpas auf ein extra beiliegendes Ersatzcover prägten. Dahinter findet man das unversehrte Originaldesign auf einem schmucken Digipack. Die Kleinigkeit mit den übersetzten Titeln kann man betrachten wie man will. Japanophile behalten wohl die originalen Titel, für das hiesige Publikum aber sind japanische Titel meist so aussagekräftig wie der BGH. Daher ist es unter diesem Gesichtspunkt ein begrüßenswerter Versuch der Markterweiterung seitens des Labels. Nun aber zur Musik.

Zunächst wäre da mal das titelgebende Intro als Instrumentalstück, das sich glücklicherweise als ernstzunehmende Einleitung entpuppt. Schön schwermütig, gleichzeitig aber mit Bongos zur Untermalung. Mit unter zwei Minuten Laufzeit optimale Länge und mit einem steigernden Ausklang eine wunderbare Vorbereitung auf "Howling" - man verzeihe mir die Verwendung der europäisierten Titel, die ich in diesem Falle ausnahmsweise für angebrachter halte. Was nun folgt, ist überraschend. Hatte man sich in Vergangenheit bereits damit abgefunden, dass MUCC allgemein ein wenig poppiger wurden, hauen die hier plötzlich auf dem Niveau von XECSNOIN Metalriffs heraus. Man kommt nicht umhin, spontan seine verstaubte Luftgitarre auszupacken. Kaum hat man den ersten Aha-Effekt verdaut, kommt der nächste. Melodische "Oh-ooh-ooo" Growls waren bis dato nicht wirklich ein Markenzeichen der Band gewesen, doch hier wirkt alles so massentauglich abgeklärt, als hätten die Jungs in den letzten zehn Jahren nichts anderes gemacht. Offensichtlich ist das Stück ein Empfehlungsschreiben für das Wacken Festival. Mit den Worten von Mr. Spock: "Faszinierend." Nach einer Lektüre des Booklets findet man interessante Persönlichkeiten, die sich als Backing Vocals ein Zubrot verdient haben. Aber die Überraschung soll jeder selbst erleben.

Danach braucht man erst mal eine kleine Pause, die einem "Ageha" auch bietet. Zumindest die ersten paar Sekunden. Kurz durchatmen, und dann wieder Vollstoff - so die Devise. Der Gesang ist hier deutlich im Vordergrund, und Tatsuro liefert wie immer eine superbe Leistung. Der Melodik wegen wird das Lied kurzzeitig etwas sanfter, dafür brechen danach beim Gitarristen alle Dämme. Ein solides Gitarrensolo und danach die nächste Überraschung: Tatsuros Stimme wurde so weit durch den Synthesizer durchgejagt, dass es sich nach einem Trance-Song anhört. Und das tatsächlich noch überraschendere ist, dass es auch noch perfekt passt. Grad die richtige Menge, um nicht etwa hartgesottene Metaller zu verschrecken. "Hide and Seek" hat auch wieder leichte Technoelemente im Sortiment, gleichwohl es von der Grundstimmung wieder eher in Richtung Metal tendiert. Die Strophe klingt ein wenig ungelenk und man fühlt sich etwas an "FUZZ" erinnert, aber ansonsten ist es gut ausbalanciert. In der zweiten Hälfte gibt es feinsten "Cock Rock", wenn man es mit einem Augenzwinkern so bezeichnen mag.

Bei "Heat Devil" gibt es endlich die lang ersehnten, melancholischeren Töne, die oft schon Grundlage für sehr gute Stücke waren. Das sind diese Lieder, in denen sämtliche Nuancen der genialen Stimme des Sängers zum Vorschein kommen. Ohne viel Tamtam, dafür aber mit zwei Esslöffeln Gefühl. Dürfte auf Konzerten zu den Gänsehaut verursachenden Stücken gehören. Das Ende hätte man vielleicht ein klein wenig optimieren können, aber auch so ist es sehr gut. Dass Lemminge so aggressiv sind wie das nach ihnen betitelte Stück, mag man schon wegen Joscha Sauers Cartoons nicht glauben. Aber offenbar hat sich die Wissenschaft all die Jahre geirrt. In bester Melodic Metal Manier darf sich der Schlagzeuger wieder ordentlich austoben. Gleichzeitig schaffen sie es aber wie immer, ihren unvergleichlichen Stil einfließen zu lassen und sich danach sogar in Hochgeschwindigkeitsrock zu steigern. Die beiden Saitenzupfer lassen sich aber keineswegs in den Hintergrund spielen. Oft ist es Miya, der sein Können zeigt, manchmal bekommt man auch ohne Konzentration Bassist YUKKE zu hören.

"Oz" ist dann wieder ein Zitatfeuerwerk erster Güte. Erinnert stark an die jungen D’ERLANGER. Aber auch andere Ideen haben sie zu einer interessanten Melasse vermischt, die stets mit zwei Prisen MUCC gewürzt ist. Doch es steht außer Frage, dass an dieser Stelle "La vie en rose" bzw. "barairo no jinsei" Pate stand. Und jeder, der schon den Klassiker mochte, wird auch dieses Lied lieben. "Flotage" ist danach wieder ein wenig ruhiger. Nicht wie eine Ballade, aber ebenso wenig laut wie Rock Hausmannskost. Beim Refrain bediente man sich ein wenig bei sich selbst. Einige Ähnlichkeiten bei der Intonierung und der Einsatz eines nach Mundharmonika klingenden Keyboards - oder was auch immer sie dafür nutzten - erinnern nicht unwesentlich an "FUZZ". Und auch hier gilt: ein geniales Stück leicht zu unterbieten ist keine Ideenlosigkeit. Wenn man "Flotage" als Sequel zu "FUZZ" versteht, dann kann man nur noch auf einen würdigen Abschluss der Trilogie auf dem nächsten Album hoffen.

"Hymn" stellt mit siebeneinhalb Minuten Laufzeit auf dem Album den Spitzenreiter in dieser Kategorie. Dass man da nicht konsequent durchpowert, versteht sich von selbst - außer man ist ein übertalentierter Gitarrist und heißt Syu. Nach etwas mehr als zwei Minuten Ballade kommt der Epochalrock um die Ecke. Und an dieser Stelle lohnt sich der vergewissernde Blick ins Booklet. So hoch wie in diesem Augenblick hat Tatsuro niemals gesungen und auch die Käsereibe in der Stimme fehlt. Was ist passiert? Man kann es sich denken: ein Gastmusiker, konkreter formuliert Sopranistin Hisako Chou. Auch wenn es nach der brachialen ersten Hälfte ziemlich konträr wirkt, so ist doch der Fluss ununterbrochen. Das Chi fließt gerade zu in Strömen. Und dann kommt mit einem Augenzwinkern unerwarteterweise das bisherige Highlight des gesamten Albums. Perfekt in die Melodie eingearbeitet singen die beiden Vokalisten auf einmal "Ave Maria". Und das, was man hört, ist geradezu der Killer schlechthin. Eine Art Rock-Oper entfaltet sich da vor einem und für den Bruchteil einer Sekunde sagt man sich "Queen können so was von einpacken!". Den Abschluss bildet dann noch einmal ein dezentes aber kraftvolles Duett, bei dem Tatsuro seine Mitsängerin lautstärkemäßig bevormundet.

Mit "Sora to Ito" erfreut das Quartett erneut die eher Rock liebende Gemeinde. Wirkt zwar nach Track 9 etwas aussageschwach, aber mit der Zeit steigern sich die Jungs zumindest zu einem genialen Mittelteil. Es ist bei weitem nicht so schlecht wie der geringe Text andeutet, aber wegen der etwas allgemeineren MUCCschen Komposition ragt es nicht unbedingt heraus. Zum Schluss bekommen die Hörer eine weitere Überraschung. Ganz ohne MTV haben die Jungs ein Orchester gefunden und einen Song unplugged eingespielt. Dass es dabei keinen Metal geben kann, ist gesunder Menschenverstand - auch wenn sich die kranken Seiten melden und sich genau das wünschen: Orchestral-Metal. Und als ob das Quartett Gedanken lesen kann, wird es danach eine Spur heftiger. Im Hintergrund hört man immer noch die ausgebildeten klassischen Musiker und im Vordergrund die gewohnten Klänge der wieder an die Boxen gestöpselten Gitarren. Zum Metal reicht es zwar nicht, aber ein gewisser "No Leaf Clover" Klang entsteht definitiv. Das Orchester ist eine Idee, die die Jungs mal ernsthaft überlegen sollten. So genial wie hier klang selten ein gediegener Rock Song.

Wie immer vergisst man die beiliegende DVD. Gutes Zeichen, passiert eben das doch meist, wenn das Album etwas geleistet hat. Und wenn man so die durch die Umgebung leicht verwaschenen Bilder des Konzerts sieht, wünscht man sich nur eines: MUCC wieder im eigenen Lande. Fast eine halbe Stunde bietet die DVD an zwanglosen Einblicken in das Konzert. Im Gegensatz zu den oft überlangen Konzert DVDs, die mangelndes Interesse dadurch verursachen, dass es Live deutlich besser kommt. In diesem Fall weiß man, dass man eine Art Best of anschaut und ist daher konzentrierter bei der Sache. Die Auswahl der Lieder wird zwar die ganz harten Metaller nicht hinter dem Ofen hervorlocken, aber die gemäßigten Kräfte dürften sich ob der teils deftigen Bässe und Gitarren-Riffs einen Konzertbesuch überlegen. Gleichzeitig zeigt sich zumindest am amerikanischen Publikum, dass es sich bei MUCC nicht um eine gehypte Kinderband handelt, sondern um grundsolide Musiker, die auch jüngere Massen anziehen. Solch ein Publikum wünschte man sich schon manches Mal in hiesigen Gefilden. Und wenn man sieht, was die Jungs in Amerika aus "FUZZ" gemacht haben, dann kann man ihre nächste - hoffentlich bald irgendwann stattfindende - Europa Tournee nur noch unter Einfluss von Ritalin ruhig überstehen. An dieser Stelle noch ein weiterer großer Dank an Gan Shin, dass sie sich für die Live DVD als Beilage entschieden haben. Es sind nur gute Songs dabei, auch wenn man vielleicht ein paar Klassiker vermissen könnte.

Fazit:
Der Vorhang fällt. Schweigen bemächtigt sich im Saal. Eine kurze Denkpause und dann 20 Minuten Standing Ovations. Während die erste Hälfte mit längst vergessenen Tönen glänzte und man sich überlegt, warum man keine Mähne zum Headbangen hat, fasziniert man sich an der zweiten Hälfte ob der nie erwarteten Einfälle. Es lässt einen stellenweise tatsächlich sprachlos. Hier und da gibt es freilich einige Kleinigkeiten zu bemängeln. Wenn überhaupt, dann wären es "Sora to Ito", "Heat Devil" und "Flotage", die sich mit einer 2+ begnügen müssten. Der Rest wäre eine 1 oder eine 1-. Es ist immer wieder aufs Neue faszinierend, wie MUCC sich selbst aus der augenscheinlich festgefahrensten Situation ihres Major Daseins herausmanövrieren und auf die Rennpiste zurückfinden. Die geniale DVD ist da nur der Zuckerguss oben drauf. Man hätte auch ohne sie überlebt, aber mit ihr ist alles noch mal eine Spur besser. Als Schnitt kommt 9.5 heraus, weil das Album eine 9.3 bekommt und die DVD eine 9.7.

Da es an den deutschen Markt gerichtet ist, folgen ein paar differenzierte Empfehlungen.
Für MUCC Fans ein Muss. Wer das Album verpasst, ist selber schuld. Für Japanophile ohne MUCC-Vorkenntnisse ist der Hintergrund entscheidend, welche Musik man hört. Pop-Freunde sollten die Finger davon lassen, gemäßigte Rocker sollten zugreifen. Ähnliches gilt für "Externe". Pop-Fans und die ganz harten Metaller dürften hierbei wenig Freude haben. Alle anderen sollten, sofern sie gerade knappe 20 Euro übrig haben, probehalber zugreifen. Wenn man es günstiger haben möchte, wären halt "Gokusai" oder "Shion" die Alternativen. Und alleine schon wegen der ordentlichen Verpackung sollte man verzichten, sich die Songs im Internet einzeln zu kaufen. Für Sammler sowieso ein Unding. Aber in diesem Fall lieber die paar Euro mehr zahlen und dafür noch die DVD mitbekommen.
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Zugehörige Künstler

Zugehörige Veröffentlichungen

Album CD + DVD 2009-03-04 2009-03-04
MUCC
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