Review

Qomolangma Tomato - camouflage

20/05/2009 2009-05-20 15:23:00 JaME Autor: Finja

Qomolangma Tomato - camouflage

Große Gefühle aus Yokohama.


© HearJapan/ Avocado Records
Album CD

camouflage

Qomolangma Tomato

Künstler: Qomolangma Tomato
Titel: camouflage
Typ: Album
Stil: Anspruchsvoller Indierock, Noise, Punk
Veröffentlichung: 15. Mai 2009

Tracklist

1. Relation
2. Kutsu No Ura To Boku Ha Ittai Datta
3. Douyou
4. Get Back My Mind
5. Suisou No Naka
6. Mozaiku
7. Down Flight
8. Yuyami Oyogu
9. Are You Ready? (I'm Not Ready At All)


Der europäische Standard-Indieboy heißt bestenfalls Pete oder Tom, trägt über seiner cremefarbenen Apparel-Baby Rib Men's Brief eine dunkle Röhrenjeans und singt bei guter Laune über tolle Mädchen und Alkoholexzesse, bei schlechter Laune über doofe Mädchen und Katerstimmung. Die japanische Version dieses Stereotyps heißt bestenfalls Naruto Ishii, sieht ein bisschen aus wie der nette Computernerd von nebenan und philosophiert auf "camouflage" über seine Kultur und die Gesellschaft an sich.

Wenn man es drauf anlegt, findet man bei nächtlichen Streifzügen durch Clubs in Shibuya und Shinjuku viele ambitionierte, junge Bands, die melodischen Pop mit dreckigem Rock und Punk mischen, mal die Pixies, mal Joy Division oder gar die Sex Pistols zitieren, sich hin und wieder an Funk und Jazz versuchen und meistens gut sind. Aber Qomolangma Tomato sind besser - und das haben sie vor allem ihrem charismatischen Frontmann zu verdanken. Den Bandnamen löscht man schnell aus dem Gedächtnis, Naruto Ishiis Stimme jedoch mag nicht so leicht in Vergessenheit geraten. Naoya Ogura, Haruo Yamanaka und Mikio Daikuhara kreieren an Gitarre, Bass und Schlagzeug die zumeist harmonische Klangwelt, Ishii aber widersetzt sich der Logik dieser eher konventionellen Rocksongs und kämpft mal schreiend, mal meckernd, seltener singend aber immer emotionsgeladen gegen die vorgegebenen Strukturen an. Und manchmal spricht er auch einfach. Nun ist das ein Konzept, das No-Wave-/Noise-Rock-Veteranen wie Sonic Youth in Jubelstürme ausbrechen lassen würde, leichte Kost aber bestimmt nicht. Doch es geht auf: Qomolangma Tomatos Musik eignet sich überhaupt nicht als harmloses Hintergrundgedudel, man muss sich darauf einlassen. Und tut man das, nimmt sie einen tatsächlich gefangen. Dass Ishiis meist schiefer Gesang anfangs als Störfaktor gesehen wird ("Die Musik ist ja klasse, aber der Typ nervt!") ist normal, dass man sich ziemlich schnell damit anfreundet, eigentlich ebenso.

Die Tomato-Jungs fanden 2003 in Yokohama zusammen und genossen spätestens nach ihrem ersten Summer Sonic Festival-Auftritt eine gewisse Prominenz als Band mit "genialen Rhythmen und exzentrischem Sänger". Mit wenig Werbung aber umso mehr Mundpropaganda erspielten sie sich eine treue Anhängerschaft, widmeten sich ausgiebigen Clubtouren und veröffentlichten zwei von Posthardcore und Punk inspirierte Alben. Ihr drittes Werk "camouflage" zeigt nun die gesamte Bandbreite der Band - moderne, poppige Rocksongs ("Relation", "Kutsu No Ura To Boku Ha Ittai Datta"), nachdenkliche Folk-Nummern ("Get Back My Mind"), experimentelle Soulsounds ("Mozaiku") und chaotischer Noise-Rock (Suisou No Naka"). Im Mittelpunkt immer Ishii, der zuweilen wie ein trotziges Kind klingt, sei es nun im jazzigen "Down Flight", in dem er gegen die Gitarrenriffs anschreit oder eben in "Mozaiku", wenn er einfach nur spricht.

Qomolangma Tomato haben sich soundtechnisch verändert, sind teilweise weniger experimentell, aber dadurch nicht schlechter geworden. Wirre, schnelle und opulente Noise-Lieder liegen ihnen genauso wie eingängigere Rockhymnen im Stil von "Are You Ready (I'm Not Ready At All)" und immer ist es Ishii, der seine Gefühle mit aller Ernsthaftigkeit und völlig überzeugend übermittelt. Das versteht man sogar, wenn man der japanischen Sprache nicht mächtig ist. Ruhiger sind sie geworden, und besonnener. Die aufgekratzte Wut der Vorgängeralben vermisst man hin und wieder, doch Qomolangma Tomato haben diese Grundstimmung längst nicht abgelegt. Das merkt man spätestens, wenn die Gruppe im teilweise balladesken und eher melancholischen "Doyou" nach knapp fünf Minuten sämtliche Strukturen auflöst, als wollten sie sagen "Verarscht, doch keine Ballade!". Überraschend, facettenreich und wirklich hörenswert. (10/10)




Samples zu sämtlichen Songs des Albums findet Ihr hier. Dort könnt Ihr "camouflage" auch kostengünstig downloaden.
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Zugehörige Veröffentlichungen

Album CD 2009-05-13 2009-05-13
Qomolangma Tomato
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