Review

DEAD END - METAMORPHOSIS

09/10/2010 2010-10-09 08:34:00 JaME Autor: Stefan

DEAD END - METAMORPHOSIS

Eine Kultband wagt den Sprung ins neue Jahrtausend

Künstler: DEAD END
Titel: METAMORPHOSIS
Typ: Album
Stil: Rock / Metal
Veröffentlichung: 11/11/2009 (Japan)
Wertung: 9/10

Tracklist:
1. Matenrou Game
2. Dress Burning
3. Telepathy
4. Devil Sleep
5. Shinen
6. Giji Venus
7. Princess
8. Guillotine
9. Kill Me Baby
10. Meigou


Als Fan nimmt man es oft mit einem Gefühlsmix aus Schock, Traurigkeit und Wut wahr, wenn eine Lieblingsband sich auf der Höhe ihrer Kreativität einfach die Dreistigkeit herausnimmt, sich aufzulösen. Und im Nachhinein quälen einen Fragen wie: Welche großartigen neuen Werke hätten sie noch in sich gehabt? Auf Künstlerseite mag es sicher mutig sein - die Musiker wagen es, ihre bisherige Karriere als Sprungbrett in neue Gefilde zu nutzen, ohne sich auf einem etablierten Bandnamen auszuruhen. Außerdem entsteht der interessante Nebeneffekt, dass das Oeuvre der Band mit den Jahren - und sicher auch dank nostalgischer Verklärung - einen mythischen, abgehobenen Status entwickelt, gerade wenn nachfolgende Generationen von Fans und Musikern es neu für sich entdecken. Schließlich hatte die Band ja auch glücklicherweise nie die Chance, aus der Brillianz ihres Zenits in eine halbherzige Langzeitroutine zu verfallen.

Ungefähr so sieht es mit der Band DEAD END aus, die Mitte bis Ende der ‘80er Jahre mit vier Studioalben ein überschaubares, aber nachhaltig einflussreiches Werk ablieferten, nur um 1990 getrennter Wege zu gehen. Ihr komplexer, atmosphärisch-düsterer und filigran ausgearbeiteter Rocksound hatte seine Wurzeln im Hardrock und Heavy Metal, verklärte sich aber schnell zu einer ganz eigenen Mischung, deren Zutaten so kompakt wie markant waren: MORRIEs intensive, tiefenresonante Vocals, Yous wahnwitzig virtuose Gitarren sowie die dynamische, super-tighte Rhythmusfraktion aus Bassist CRAZY COOL JOE und Drummer Minato. Fast ironischerweise sollte die Auflösung der Band zeitlich mehr oder weniger auf den ersten großen Aufschwung jener Musikszene treffen, die sie prototypisch mitbegründeten: Visual Kei. Man bedenke nur, dass legendäre Acts wie X JAPAN, LUNA SEA oder Kuroyume allesamt damals oder kurz darauf an den Anfängen ihrer Karrieren standen.

Fast 20 Jahre später - und schon lange nach der Auflösung vieler der großen Nachfolge-Bands - erscheint nun 2009 das fünfte DEAD END-Album - und nach der ersten Euphoriewelle stellen sich wieder die altbekannten Zweifel ein: Werden die gealterten Ikonen ein künstlerisch relevantes Comeback hinlegen? Oder möchten sie vielleicht nur auf der Welle ihres nach der Jahrtausendwende neu entfachten Kultstatus mitreiten? Selbst, wenn man auf letztere Frage vielleicht kein absolutes “Nein” antworten kann, ist es erstaunlich, wie resolut man die erste Frage bejahen kann. Denn DEAD END kommen mit einer absolut intensiven Wucht zurück und haben ihrem Sound ein Update verpasst, das sich nicht krampfhaft an alten Glanzstücken orientiert, aber auch glücklicherweise nicht zu sehr aktuellen Rock- und Visual-Klängen hinterhereifert.

Aber wer erst einmal in das Hörerlebnis eintaucht, wird sowieso kaum die Relevanz solcher Überlegungen nachvollziehen können, denn gerade mit den ersten paar Songs legen DEAD END wirklich einen so ausgefeilten, eingängigen und atmosphärisch dichten Hard-Rock-Sound vor, dass man sich allzu gerne mitreißen lässt. "Matenrou Game" steigt direkt mit Uptempo-Riffs erster Kajüte ein und Gitarrist You - der sich übrigens auch als Hauptsongwriter des Albums verantwortlich zeichnet - bietet sofort zahlreiche Paradebeispiele, was man so alles in Richtung "heavy" aus der Gitarre zaubern kann, ohne affektiert, angeberisch oder im geringsten angestrengt zu klingen. Aber es geht natürlich nicht nur um Weltklasse-Instrumentalisten, sondern vor allem um tolle Melodien und mitreißende Refrains - und gerade wenn man denkt, man hat davon schon ziemlich reichlich bekommen, setzt der zweite Track "Dress Burning" der Sache das Sahnehäubchen auf. Ein derartig eingängiger Rocksong, der perfekte Pop-Hooks mit treibenden, ausgefeilten Hard-Rock-Sounds vereint, ohne die DEAD END-typische düstere Stimmung zu verlieren und in dem selbst ein langes Gitarrensolo so spannend ist wie anderswo ganze Songs nicht, kann eigentlich selbst den toughesten Zweiflern nur eins bedeuten: DEAD END sind zurück und rocken!

MORRIE, der zeitgleich auch mit seinem neuen Projekt Creature Creature unterwegs ist, möchte es offensichtlich wirklich noch einmal wissen und die vier Veteranen klingen musikalisch kräftiger und technisch fitter als manch eine um zwei Jahrzehnte jüngere Band. Das beweist auch das nachfolgende "Telepathy": hier wird das Tempo etwas heruntergedreht und der Song spinnt aus seinem dissonanten Anfangsriff langsam eine stimmungsschwere Moll-Ballade, die prall mit interessanten Licks und einer schicken 7/8-Takt-Bridge gefüllt ist; "Devil Sleep" hingegen klingt dank des flotten Tempos und MORRIEs gelenker Stimmmodulationen thrashig, wütend und herrlich verrückt. Weitere Highlights sind sicher "Princess", zu dem es auch ein Video gibt (dieses ist übrigens auf der DVD der limitierten Auflage enthalten), dessen groovy Versteil durch einen reichlich bombastischen Refrain ausgeglichen wird, sowie "Meigou", der letzte Track und als socher eine ausladende, schwermütig-epische 6/8-Ballade, deren Dramaturgie sich stetig aufbaut, um schließlich mit einem theatralischen Falsett-Gesang hinwegzuschweben. Aber Füllmaterial hat dieses Album eigentlich wirklich nicht - sowohl vom Klang als auch vom Umfang her sitzt fast alles.


Sicher könnte man an "METAMORPHOSIS" bemängeln, dass es die experimentelleren Elemente, die gerade auf den letzten zwei DEAD END-Alben "shámbara" und "ZERO" Ausprägung fanden, getrost außen vor lässt, um sich auf einen kernigeren, härteren Sound zu konzentrieren. Aber genau aus dieser Beschränkung rührt eben auch die volle Breitseite von harten Riffs und überschwänglichen Melodien, die dieses Album so packend machen. Und letztendlich sind sich DEAD END irgendwie doch sehr treu geblieben: sie haben sich konsequent weiterentwickelt und klingen hier absolut zeitgemäß, exisitieren aber trotzdem weiterhin in ihrem ganz eigenen radikal-melancholisch-intensiven Kosmos.
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