Wie Visual Kei in die USA kam
Vor dem ersten Konzert in den USA war das Genre nur solchen Fans bekannt, die es auf anderen Wegen, wie Internet, Anime oder Hörensagen, entdeckt hatten. Visual Kei hielt kurz vor dem Höhepunkt des Mainstream-Anime im Jahr 2003 Einzug in die japanische Kulturszene in Amerika. Zu dem Zeitpunkt erreichten die Einnahmen aus Animes in den USA über $500 Millionen.
1 Von diesem Zeitpunkt an wuchs die Fangemeinde von Visual Kei zusammen mit der Beliebtheit der Animes.
Die Pioniere hierbei waren
DuelJewel, die als erste Visual Kei-Band 2002 auf der
A-KON in Dallas, Texas, auftraten.
2 Im Jahr darauf setzten
DuelJewel mit der ersten, vom Promoter Jhouserock organisierten, amerikanischen Tour einen weiteren Meilenstein in der Geschichte des Visual Kei in den USA. Die Band trat in fünf Städten auf, einschließlich Stops auf Animeconventions, wie der
Katsucon in Virginia
3, der
Anime Central in Illinois
4 und einem erneuten Auftritt auf der
A-KON in Texas.
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Die erste Visual Kei-Band, die zusammen mit amerikanischen Bands auftrat, war
D'espairsRay, die 2005 eine Tour mit den
Genitorturers und
Trashlight Vision unternahmen.
6 Dies öffnete der Zusammenarbeit von japanischen und nicht-japanischen Künstlern die Tür und führte zu einer Vielzahl von Tourneen in aller Welt.
Im selben Jahr wurde in Santa Clara, Kalifornien, unter dem Titel
Jrock Connection auch die erste Convention ausschließlich für japanische Rockmusik veranstaltet.
7 Obwohl die Convention nach nur zwei Jahren eingestellt wurde, gab sie Fans die Gelegenheit, eine Vielzahl von japanischen Visual Kei- und Rockbands zu sehen. Darunter war neben
Karma Shenjing auch vom Visual Kei inspirierte amerikanische Bands wie
Serafilia.
Wie man in der oben abgeildeten Grafik sehen kann, fanden 2002 die ersten Visual Kei-Konzerte in den USA statt und stiegen dann stetig an, bis sie 2008 ihren Höhepunkt erreichten. Parallel dazu stieg die Zahl der Einzelperformer, also die Zahl der verschiedenen Künstler, die jährlich Konzerte spielten, ebenfalls an. Deren Zahl war aber viel ausgeglichener als die Zahl der Konzerte insgesamt. Dies kann Bands wie
DIR EN GREY, die lange Touren veranstalteten, und Künstlern, die im Rahmen der selben Tour sowohl auf Anime Conventions als auch in Konzerthallen spielten, zugeschrieben werden. In einigen Fällen waren diese Künstler die einzigen Visual Kei-Bands, die in dem jeweiligen Jahr die USA besuchten.
Im Sommer 2006 hatten sich
DIR EN GREY durch ihre Mitwirkung auf der
Familiy Values Tour und ihrem Aufritt auf der
South by Southwest Music and Media Conference erfolgreich in Touren mit nicht-japanischen Rockbands integriert. Die Band baute sich nun stetig eine neue Fangemeinde außerhalb der Visual Kei- und Jrock-Fanszene auf. Gleichzeitig setzte sie ihre Entwicklung hin zum Mainstream Rock fort, indem sie ihr Aussehen und ihren Sound für ein durchschnittlicheres Mainstreampublikum leichter verdaulich gestaltete, ohne dass man an Attraktivität für die Visual Kei-Fans einbüßte.
Im Jahr 2007 wurde mit der
Jrock Revolution, dem ersten vollwertigen Multi-Band-Event, das über zwei Tage hinweg in Los Angeles, Kalifornien, stattfand, ein weiterer Meilenstein gesetzt. Neun Bands reisten aus Japan an, um dort aufzutreten, darunter Künstler wie
MIYAVI,
Kagrra,,
Alice Nine und
girugamesh. Als das erste solche Event auf amerikanischem Boden war es sofort ausverkauft und zog Fans aus aller Welt an.
8 Im selben Jahr fand auch
DIR EN GREYs erste volle Tour als Headliner in den USA statt, bei der sie Fans in 16 Städten besuchten.
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Im folgenden Jahr erreichten die Aktivitäten mit über 100 Visual Kei-Konzerten ihren Höhepunkt. In dem Jahr wurden
MUCC,
D'espairsRay und
THE UNDERNEATH zu einer großen Tour für amerikanische Rockbands namens
Rockstar Taste of Chaos eingeladen, was den Bekanntheitsgrad des Visual Kei im amerikanischen Mainstream Rock weiter vertiefte.
Auf der Taste of Chaos Tour benutzten
MUCC und
D'espairsRay noch den Visual-Stil, was ihre Akzeptanz durch den Mainstream noch erstaunlicher machte. Obwohl die Tour sehr erfolgreich war, folgten darauf keine weiteren gemeinsamen Touren von japanischen und nicht-japanischen Bands und bald darauf schien der amerikanische Mainstream Visual Kei vergessen zu haben.
Obwohl Visual Kei im Lauf der Jahre immer beliebter wurde, ging die Zahl der Konzerte 2009 deutlich zurück. Dafür kann es mehrere Gründe geben: der Börsenkrach Ende 2008 und die darauf folgende Wirtschaftskrise in den USA sowie die H1N1-Grippeepidemie. Es fanden jedoch noch immer zahlreiche Touren statt.
VAMPS spielten für Fans in zehn verschiedenen Städten landesweit und
BLOOD und
GPKISM veranstalteten eine sechs Stationen umfassende Tour entlang der Ostküste sowie einen Abstecher nach Texas.
Während die ersten Visual Kei-Konzerte noch auf Anime Conventions stattfanden, verlagerte sich dies in den folgenden Jahren verstärkt auf Konzerthallen, wie man in der unten abgebildeten Grafik sehen kann. Dies weist darauf hin, dass die Einzelkonzerte und Touren erfolgreich genug waren, um das Mieten von Konzerthallen profitabel und das Risiko finanzieller Verluste minimal zu machen.
Doch während der finanziell unsicheren Zeit im Jahr 2009 zogen Promoter wieder Anime Conventions privat veranstalteten Touren und Solokonzerten in Konzerthallen vor. Damit sicherten sie sich gegen eventuelle, aus den Veranstaltungen resultierende finanzielle Verluste ab. Hierdurch verdoppelte sich die Zahl der Konzerte auf Anime Conventions nahezu im Vergleich zum Vorjahr. Wir werden uns im siebten Teil unserer Artikelserie, " Visual Kei und Anime", näher mit diesem Thema auseinandersetzen.
In dem Jahr fanden nicht nur weniger Visual Kei-Konzerte in den USA statt; auch andere japanische Veranstaltungen wurden aufgrund des H1N1-Grippevirus abgesagt. Beispielsweise die
Dolpha, eine von dem japanischen Puppenhersteller Volks veranstaltete Ball Jointed Dolls Convention in New York.
10 Die texanische Anime Convention
A-KON verzeichnete den grössten Rückschlag ihrer Geschichte, als die Band
LM.C ihren Auftritt einen Monat vor der Veranstaltung aufgrund von H1N1 absagte.
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2010 war ein aufregendes Jahr für viele Visual Kei-Fans, das eine Rekordzahl an Touren brachte.
MIYAVI,
D'espairsRay und
VAMPS waren nur einige Namen unter vielen, die in diesem Jahr in die USA reisten. Ein weiteres bedeutscames Ereignis in dem Jahr war die sieben Stationen umfassende US-Tour von
X JAPAN, den Begründern des Visual Kei.
Visual Kei in Kanada
Kanada kam erst einige Jahre nach den Vereinigten Staaten in dem Genuss von Visual Kei. Eine der ersten Shows auf kanadischem Boden war die amerikanisch-japanische
Family Values Couplingtour anno 2006, auf der
DIR EN GREY zusammen mit
DEFTONES,
KORN und anderen Bands auftraten.
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Während der nächsten zwei Jahre blieben
DIR EN GREY die einzige Band aus dem Visual Kei-Umfeld, die Kanada besuchte, als sie im Rahmen ihrer Headlinertour in Toronto und Montreal auftraten. Im Jahr 2010 schaffte
MIYAVI es mit seiner
NEO TOKYO SAMURAI BLACK WORLD TOUR nach Kanada, wo er Konzerte in Vancouver und Toronto spielte. Im Sommer des selben Jahres kamen auch
D'espairsRay nach Kanada, gefolgt von
DIR EN GREY, die wenige Wochen später mit der finnischen Metal Cello-Band
Apocalyptica für ein Konzert zurückkehrten. Die letzten Visual Kei-Konzerte in diesem Jahr waren die Shows von
X JAPAN in Vancouver und Toronto im Rahmen ihrer Nordamerikatour.
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Obwohl 2011 einige Aktivitäten im Visual Kei-Bereich stattfanden, bleibt Kanada in Bezug auf Konzerte weiterhin hinter den meisten westlichen Ländern zurück.
Die wachsende Beliebtheit von Visual Kei in Zentral- und Südamerika
Obwohl das Interesse an Visual Kei auf den internationalen Märkten in beinahe gleichem Maße stieg, reisten Visual Kei-Künstler erst zwei Jahre nachdem sie sich im Ausland etabliert hatten nach Zentral- und Südamerika. Die erste Band, die es in diesen Teil der Welt verschlagen hatte, war
BLOOD im Jahr 2005.
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Die ersten paar Jahre nach ihrem ersten Konzert in Mexico waren
BLOOD nicht nur die einzige Band, die regelmässig Visual Kei-Fans in Zentralamerika besuchte; Mexiko war das einzige Land, in dem sie auftraten. Dies änderte sich 2007 als
Charlotte nach Brasilien reisten, um die dortigen Fans zu begrüßen, die geduldig auf ihre Chance gewartet hatten.
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In den nächsten zwei Jahren erlebten Zentral- und Südamerika einen dramatischen Anstieg an Konzerten, als zahlreiche Künstler Länder wie Costa Rica, Argentinien und Chile besuchten. Das Jahr 2009, in dem fünf verschiedene Künstler insgesamt vierzehn Konzerte in Zentral- und Südamerika spielten, darunter kurze Touren von
MIYAVI,
An Cafe und
LM.C, stellte den Höhepunkt dar.
Im folgenden Jahr begannen die Aktivitäten in beiden Regionen jedoch abzunehmen. Dennoch konnten sich die Fans über fünf Shows von
Versailles freuen, die durch vier Länder Südamerikas tourten.
16 Kurz danach reisten
VAMPS nach Südamerika und gaben ein einziges Konzert in Chile. Es wurde von beinahe 5000 Fans besucht, was rasch die Aufmerksamkeit der japanischen Presse erregte.
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Obwohl Zentral- und Südamerika weniger Visual Kei-Künstler willkommen heißen konnten als andere Regionen der Welt, nahmen die Aktivitäten 2011 wieder zu.
Die Beliebtheit von nicht-visuellen japanischen Künstlern
Lange bevor Visual Kei in der amereikanischen Musikszene Einzug hielt, reisten nicht-visuelle Bands in die USA und erfreuten sich gesunder Fangemeinden. Beispielhaft wäre hier
Shonen Knife zu erwähnen, die in den 90er Jahren mit der amerikanischen Grungeband
Nirvana tourten
18. Hinzu kam die
Japan Nite der texanischen
South by Southwest-Konferenz sowie japanische Popgruppen, die um die Jahrtausendwende auf Animeconventions spielten. Trotz seiner wachsenden Beliebtheit wurde Visual Kei nie in dem Ausmass akzeptiert oder promotet wie nicht-visuelle Künstler - zweifellos aus verschiedenen Gründen. Man muss bedenken, dass das androgyne Aussehen von Visual Kei-Musikern auf westliche Fans beunruhigend wirken und als "homosexuell" interpretiert werden kann. Für viele Fans kann dies anstössig wirken, obwohl es in ihrer eigenen Kultur ähnliche Künstler gibt. Gute Beispiele sind
Marilyn Manson und
Lady Gaga, zwei pominente, visuell gestylte amerikanische Künstler. Wir werden dies im neunten Teil unserer Artikelserie, "Glam Rock, Visual Rock und visuell inspirierte Künstler", genauer untersuchen.
Obwohl sowohl Visual Kei-Künstler, als auch nicht-visuelle Künstler in erster Linie auf Japanisch singen, ist es für nicht-visuelle Künstler, wie die Popmusiker von
PUFFY oder
Utada Hikaru, leichter in den Mainstream integriert und dort akzeptiert zu werden, als in einen Nischenmarkt wie dem Rock oder dem Visual Kei. Außerdem sind Plattenfirmen und Veranstalter eher geneigt, Touren oder Konzerte zu finanzieren, die sicheren Profit und hohe Besucherzahlen versprechen.
Wenn man die Konzerte von Visual Kei-Künstlern und nicht-visuellen Künstlern miteinander vergleicht, erkennt man, dass Visual Kei in den vergangenen zehn Jahren stark von der nicht-visuellen Musikszene überschattet wurde. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Visual Kei keine aktive Fangemeinde aufweist.
Es ist auch bemerkensswert, dass trotz der Wirtschaftskrise 2008 und dem H1N1-Virus die Zahl von nicht-visuellen Konzerten 2009 anstieg. Dieser Anstieg bedeutet jedoch nicht unbedingt, dass mehr nicht-visuelle Künstler aus Japan kamen. Ein Teil dieser Aktivitäten geht auf das Konto von japanischen Künstlern, die in den USA leben, wie
Peelander Z, die in diesem Zeitraum mehr Konzerte gaben. Über den abgebildeten zehnjährigen Zeitraum waren
Peelander Z, eine Punkband aus New York, für 670 nicht-visuelle Konzerte in den USA verantwortlich.
Im nächsten Teil...
...sprechen wir mit
Jimi Aoma, dem ehemaligen Bassisten der Visual Kei-Band
Chemical Pictures. Er berichtet sowohl über seine Erfahrungen mit der Visual Kei-Szene und als Musiker allgemein, als auch darüber, der einzige Amerikaner in einer japanischen Band zu sein.
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Anmerkung der Autorin: Obwohl ich versucht habe, die internationale Visual Kei-Szene wahrheitsgetreu wiederzugeben, bin ich keine Expertin und kann nicht garantieren, dass meine Wiedergabe perfekt ist. Möglicherweise habe ich Künstler als "Visual Kei" beschrieben, die von den Leser nicht als solche betrachtet werden, und umgekehrt. Ich hoffe, dass Ihr diese Darstellung trotzdem hilfreich und so wahrheitsgetreu wir möglich findet. Sollte ich das eine oder andere Konzert übersehen haben, entschuldige ich mich dafür.
[1] Allison Anne, Millennial Monsters. (Uni. Of California, 2006) 165.
[2,5] “Project A-KON” , zuletzt geändert am 4. April 2011.
[3] "Katsucon”, zuletzt geändert am 28. Mai 2011.
[4] “Anime Central”, zuletzt geändert am 31. Mai 2011.
[6] “D’espairsRay JaME Schedule”, 2011.
[7] “Jrock Connection”, 2011.
[8] "Hinter den Kulissen Interview mit den JRock Revolution Organisatoren", JaME, 9. Juli 2007.
[9] "Dir En Grey: US Tour Dates Announced" , Blabbermouth.net, 11. November 2006.
[10] "A message to American SD Owners and All Doll Fans", Dolls Party in New York 4, 2009.
[11] Jess Reade, A-Kon, Email-Interview mit der Autorin, 6. März 2011.
[12] "Timeline", Dir En Grey Official Website, 2011.
[13] "Canada JaME Schedule", 2011.
[14] "Blood JaME Schedule", 2011.
[15] "Charlotte JaME Schedule", 2011.
[16] "Versailles JaME Schedule", 2011.
[17] "Vamps 6 kakoku angya no nekkyou world tour nanbei chile de kanketsu", Natalie, 8. November 2010, Zugriff am 17. Juni 2011.
[18]“Knife Fight”,Metroactive Music, 2. Oktober 2003, Zugriff am 1. April 2011.
[19] “Past Shows”, Peelander Z Official Website, 2011